Luis Stadler über die Hundezone als Heterotopie

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Worum geht’s in deiner BA-Arbeit? Wie bist du auf das Thema gekommen?

In meiner Bachelorarbeit geht es um die Wiener Hundezonen. Die Idee dazu kam mir in einem Moment der Irritation. Bei einem der ersten Spaziergänge entlang der Liesing mit meinem Hund Matzie kamen wir plötzlich an einem rechteckigen Wiesenstück vorbei, das von einem hohen Metallzaun umgrenzt war. Zuerst schreckte mich dieser Ort – der eher wie ein Käfig auf mich wirkte – ab und ich wollte schon daran vorbeigehen. Dann wagte ich allerdings den Blick nach innen und sah Hunde mit wedelnden Schwänzen und ohne Leine oder Maulkorb frei miteinander spielen, während sich ihre Halter*innen scheinbar gut gelaunt unterhielten. Mir wurde klar, dass Orte wie dieser – sogenannte Hundezonen – die einzigen in Wien sind, in denen sich Hunde ohne direkte Kontrolle durch den Menschen frei bewegen können.

Da ich Matzie diesen Freilauf ermöglichen wollte, entschied ich mich schließlich, eines der schweren Metalltore zu öffnen und einzutreten. Als das Tor hinter mir ins Schloss fiel, ich die Leine vom Brustgeschirr meines Hundes löste und ihn mit wedelndem Schwanz auf seine im Gras spielenden Artgenossen zulaufen sah, wurde mir bewusst: Dieser Ort ist kein Käfig. Hier geht es nicht darum, meinen Matzie einzusperren, sondern um seine Freiheit. Mit zunehmenden Besuchen in der Hundezone verstärkte sich dieser Eindruck. Den Hund ableinen, ihn laufen lassen und ein Gespräch mit den anderen Hundehalter*innen führen, mit denen man sich aufgrund der Gemeinsamkeit Hund schon von vorneherein verbunden fühlt – all das wurde zum Teil meines Alltags. Ausgehend von diesem Gegensatz zwischen dem ersten Eindruck und der Bedeutung, die ich der Hundezone heute beimesse, begann ich mich für diese Orte zu interessieren.

Nach einer kurzen Durchschau der ethnographischen Quellen über diese besonderen Orte stellte ich allerdings schnell fest, dass die Hundezone in der Forschung bisher kaum Erwähnung fand. Wenn sie überhaupt behandelt wurde, so verstand man sie als Produkt von „Ordnungsdiskursen“: Als verräumlichte Stadtordnung, welche die ‚störenden‘ Hunde in einem umzäunten Stück Grünfläche kontrollierbar macht. Das soziale Innenleben der Hundezone blieb gänzlich unerwähnt. Was mich schließlich dazu bewegte, meine Bachelorarbeit über die Hundezone am Liesingsteg zu schreiben, war der Zwiespalt zwischen meiner eigenen Wahrnehmung und dem bisherigen Forschungsstand. Ich wollte nun herausfinden, was es mit diesen Ordnungsdiskursen auf sich hat und inwiefern diese tatsächlich eine Rolle spielen. Ausgehend davon interessierte mich aber insbesondere das soziale Innenleben der Hundezone sowie die Alltagspraktiken, die sich in ihr entfalten.


Was war eine überraschende Erkenntnis? Was hast du bei deiner Forschung gelernt?

Ein wichtiges Learning ganz zu Beginn der Forschung war, dass die „Ordnungsdiskurse“ als Theorie zwar zu kurz greifen, ich sie aber nicht gänzlich verwerfen konnte. Im Gegenteil: In Gesetzestexten und offiziellen Statements zu den Hundezonen stieß ich immer wieder auf Ausdrücke und Formulierungen, die diese Theorie zu bestätigen schienen. So wurden die Stadthunde etwa als „Belästigungen oder Gefahren“, die in den Hundezonen gebändigt werden können, bezeichnet. Wie ein Interview mit dem Bezirksvorsteher zeigte, materialisieren sich diese rechtlichen und stadtpolitischen Vorstellungen dann im Zuge von Planung und Bau der Hundezonen – etwa über Schilder mit Verhaltensregeln oder vorgegebene Raumbausteine, wie Bänke und Kratzbäume. Dem Weg dieser Ordnungsdiskurse folgend begab ich mich nun auf den analytischen Pfad hinein in die Hundezone.

Dort angekommen stellte ich schnell fest, dass sich das Erleben in der Hundezone stark vom sie umgebenden Stadtraum zu unterscheiden schien. Hinter dem Zaun galten andere Regeln und es entstanden interne Eigenlogiken. Um diese Beobachtungen fassen zu können, entschied ich mich, das Heterotopiemodell nach Michel Foucault zum zentralen Analysewerkzeug meiner Arbeit zu machen. Foucault versteht Heterotopien als andersartige Orte, die unsere Alltagsordnung auf den Kopf stellen, indem sie ihre eigenen Ordnungen erschaffen – genau wie in der Hundezone.

Foto: Luis Stadler

Besonders deutlich wurde das in den Momenten des Übergangs in das Innere des Zauns. An der Schwelle konnte ich beobachten, wie Halter*innen und ihre Vierbeiner Rituale vollzogen, die wie einstudiert wirkten. So etwa eine Frau, die ihrem Hund vor dem Tor das Kommando „Sitz“ gab, mich dann fragte, „ob mein Hund ein Spieler sei“, durch den Zaun trat, ihren Hund nachsetzen ließ, das Tor ins Schloss fallen ließ und ihm erst dann die Leine abnahm. Der Eintritt in die andersartige Hundezone schien also durchzogen von sinnstiftenden Praktiken, die sich als Übergangsrituale materialisierten. Dass diese Übergänge nicht nur physisch abliefen, zeigte ein Interview mit einem regelmäßigen Besucher der Hundezone. Hans erzählte mir dabei, dass er sich nach dem Eintritt in die Hundezone entspannter fühle, da er seine Hündin nicht mehr durch die Leine disziplinieren müsse.

Analytisch im Inneren des Zauns angekommen, interessierte ich mich nun dafür, welche Dynamiken die Hundezone zu einem andersartigen Ort machten. Zuerst fiel mir dabei die spezielle Kommunikationsstruktur auf. So konnte ich beobachten, dass sich in der Hundezone oft spontane Gespräche ergaben, die sehr schnell zu privaten Themen führten. Ein Beispiel dafür war eine Begegnung mit einer aus der Ukraine geflüchteten Frau, die mir trotz Sprachbarriere über die Kriegserlebnisse in ihrer Heimat erzählte. Die Hundezone als andersartiger Raum – so mein Argument – begünstigt derartige Konversationen, da sie den Rahmen für eine direkte Art der Kommunikation liefert, die Hans etwa mit der in einem Wirtshaus verglich. Als nächstes wurde deutlich, dass Hundehalter*innen in einem wechselseitigen Verhältnis mit ihren Vierbeinern Platzierungsmechanismen innerhalb der Hundezone entwickelten. „Sherriff“, „Beißhund“ oder „Spielerin“ sind Begriffe, die zur Entstehung einer eigenen Ordnung im Inneren der Hundezone beitragen. Diese Ordnung war dabei ein erstes Indiz dafür, dass sich in der Hundezone außerdem eine eigene Alltagslogik herausbildet. Er ist geprägt von wiederkehrenden Begegnungen, vertrauten Gesprächen und gemeinsamen Routinen, die den Ort in das alltägliche Leben seiner Besucher*innen einbetten – und ihn damit zugleich zu etwas Eigenem machen.


Was machst du jetzt? Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Nach wie vor gehe ich mit Matzie fast täglich in die Hundezone. Mittlerweile fühlt sie sich für mich wie ein zweites Zuhause an und ich habe dort Menschen kennengelernt, die ich heute als Freunde bezeichnen würde. Wir sprechen ganz ungezwungen über die Arbeit, die Hundeerziehung und das Privatleben, während unsere Hunde miteinander spielen und sich gegenseitig auspowern. Win/Win!

Was meinen eigenen universitären Werdegang angeht, so habe ich mich dazu entschlossen, das Studium nicht im Master fortzusetzen. Zwar haben mich die Inhalte und die Forschungsarbeiten nachhaltig geprägt, doch habe ich dabei erkannt, dass ich einen anderen Weg einschlagen möchte. Künftig will ich gerne im sozialen Sektor Fuß fassen und dort meine im Studium erworbenen Fähigkeiten zur Analyse des sozialen Lebens einbringen. Das ist auch eines der Dinge, die ich so am Studium der Europäischen Ethnologie schätze: Durch das umfangreiche Lehrangebot bietet es unzählige Möglichkeiten, sich beruflich zu orientieren.

Foto: Luis Stadler