Finding, Losing, Maintaining Grip

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In ihrem Beitrag „Von High Heels und Yogaleggings: Postfeministische Diskurse über Körperlichkeit am Beispiel von Stripperinnen und Yoga-Praktizierenden“ im Institutskolloqium zum Thema Körper in Sommersemester 2024 haben Isabella Hesse und Maria Prchal über ihre Masterarbeiten berichtet. Sona Vybostokova hat im Anschluss ein Interview mit Isabella Hesse geführt, in dem sie über ihre Masterarbeit Finding, losing, maintaining Grip. Eine Analyse der Erzählungen von Stripper:innen über ihre Berufsalltage spricht. Ihre Masterarbeit ist jüngst in den Veröffentlichungen des Instituts erschienen und kann hier über den Institutsverlag bestellt werden.

Sona Vybostokova: Wie bist du auf das Thema deiner Masterarbeit gekommen?

Isabella Hesse: Ich hatte mit einer guten Freundin von mir darüber geredet, wie interessant ich ihren neuen Job finde – sie hatte gerade angefangen, in einem Stripclub zu arbeiten. Es war zuerst eher ein Scherz:  Das ist so spannend, darüber würde ich gerne meine Masterarbeit schreiben! Davon ausgehend habe ich angefangen, Literatur zu recherchieren und anzuschauen. Es hat mich dann einfach nicht mehr losgelassen!

Sind ethnographische Perspektive, Methoden und Konzepte bei diesem Thema hilfreich?

Es hat mir schon hilfreiche Voraussetzungen gegeben. Eine der großen Stärken unseres Faches ist natürlich die Selbstreflexivität, das betonen alle immer auch sehr stark. Aber es ist eben wirklich wichtig, gerade wenn du mit Leuten arbeitest, die viel Stigmatisierung erfahren. Du musst bereits sein, dein Ego ein bisschen wegzustecken und dir auch mal Sachen erklären zu lasse, auch wenn du zunächst eine andere Meinung hattest.

Bei mir war es so, ich musste erst mal mit einem bisschen Unbehagen klarkommen, weil ich auch so Bauchreaktionen zum Thema Sexarbeit hatte. Die ethnologische Ausbildung hat mir dabei geholfen, mit diesem Gefühl umzugehen und daraus etwas analytisch Produktives zu machen.

Warum findest du das Thema relevant? Was würdest du sagen, dass es bringt?

Grundsätzlich denke ich, es ist sehr wichtig, dass wir uns europäisch-ethnologisch mit verschiedenen Arbeitsformen beschäftigen und Formen der Arbeit aus einer kapitalismuskritischen Perspektive analysieren. Ich finde es entscheidend in der kapitalistischen Welt, in der wir leben, in der das Thema Leute beschäftigt.

Nichts beschäftigt die meisten Menschen mehr als die Frage, wie sie ihr Geld verdienen, wie sie ihren Lebensunterhalt sichern sollen, was für Karriereperspektiven sie haben und wie ihre Arbeitsbedingungen sind. Und speziell auf Sexarbeit bezogen, ist es relevant, weil es ein sehr umstrittenes Thema ist. Ein wichtiger Aspekt, auf den ich schon zu Beginn meiner Recherche gestoßen bin, war, dass Sexarbeiter:innen sich einfach nicht gehört fühlen, dass sie den Eindruck haben, es wird immer über ihre Köpfe hinweg entschieden. Auf diese Kritik stößt man sehr schnell, wenn man anfängt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Gerade wenn man merkt, dass in einem gesellschaftlichen Bereich ein so großer Unmut da ist und ein Gefühl des Ungehört-Seins, ist es ja eigentlich perfekt, dort mit der Forschung anzusetzen.

Welche praktischen Empfehlungen hättest du jetzt basierend auf den Ergebnissen deiner Arbeit?

Meine Erkenntnisse sind natürlich sehr spezifisch, weil ich mir einen Club angeschaut habe. Das wird sicher nicht für alle Stripclubs gelten, für alle Formen von Sexarbeit sowieso nicht.

Was ich vor allem mitgenommen habe, ist, sich auf den Arbeitsaspekt zu konzentrieren und wegzukommen von den ebenfalls spannenden, aber dann doch auch sehr polarisierenden Begriffen wie Freiwilligkeit, Objektifizierung, Moral und den Vorstellungen davon, was es bededeutet, seinen Körper zu verkaufen bedeutet. Das ist sehr stark moralisch aufgeladen, Leute werden auch sehr emotional. Meine Empfehlung wäre, sich möglichst konkret und spezifisch die  Arbeitsbedingungen anzuschauen und auf der Alltagsebene zu bleiben. Es  ist nicht besonders hilfreich ist für Personen, die in der Sexarbeit arbeiten, wenn man diese großen Diskussionen anzettelt: was ist jetzt freiwillig, was nicht freiwillig. Stattdessen konkrete Gespräche darüber, wie kann man die Bedingungen im Alltag vielleicht ändern kann. Das ist, denke ich, zielführender.

Du hast auch im Institutskolloquium erwähnt, dass die Reaktion auf Begriffe wie Freiwilligkeit und Freiheit manchmal ganz anders ausgefallen ist als du erwartet hattest.

Ja, total! Das ist auch nicht nur meine Idee, obwohl ich es sehr gerne zur Sprache bringe, weil das eine der eindrücklichsten Erkenntnisse im Forschungsprozess gewesen ist. Es ist aber auch durch andere Sexarbeitsforschende schon länger im Gespräch, dass man in eine Stellvertreterdebatte abrutscht, in der man auf einer abstrakten Ebene darüber redet, wie man  sichergehen kann, dass jemand etwas wirklich freiwillig tut. Das ist auch eine interessante Frage. Aber während man sich mit dieser Frage beschäftigt, was ist eigentlich freier Wille und was kann freiwillige Arbeit sein im Kapitalismus, geht die Aufmerksamkeit für den Alltag verloren. Gerade für unser Fach ist es interessant, sich mit dem Alltag zu beschäftigen.

Menschenhandel und freiwillige Sexarbeit, das ist eine wichtige Diskussion, die muss man führen! Ein Problem ist aber, dass diese emotional aufgeladene Diskussion oft für politische Zwecke instrumentalisiert wird, um beispielsweise für restriktive Migrationsregime zu argumentieren. Dann geht es nicht darum, wie der Alltag von Sexarbeiter:innen tatsächlich aussieht. Sexarbeiter:innen wird nicht zugehört, sondern es wird über sie debattiert.

Foto: Isabella Hesse

Was hat dich am meisten überrascht bei dieser Forschung?

Ich hatte sehr viele Überraschungen! Eine große Sache war: Ich habe ziemlich lange Material erhoben, fast zwei Jahre, und es ist immer neues Material dazugekommen. Gerade zu Beginn des Forschungsprozesses habe ich erwartet, dass die anfängliche, sehr positive Einstellung meiner Gesprächspartnerin irgendwann ins eher Negative kippen würde. Aber dieser Moment ist nicht gekommen. Dass vielleicht schon ein bisschen weniger Naivität da war zum Ende des Forschungsprozesses. Aber es war eigentlich nicht das, was man auch aus vielen Medienrepräsentationen oder auch aus vielen anderen Forschungstexten kennt.

Lag dein Fokus auf Interviews oder welche weiteren Methoden hast du noch angewendet?

Es waren vor allem Gespräche. Mit einer Stripperin war es ein klassisches Interview, wie man es kennt, mit Leitfaden und allem. Mit der anderen Gesprächspartnerin war ich davor schon befreundet, durch die ich auf das Thema gekommen bin, hatte das nicht die ‚typische‘ Form.  Wir haben unsere alltäglichen Kommunikationsmedien weitergenutzt, zum großen Teil WhatsApp-Sprachnachrichten. Diese Voice-Message-Methode hat extrem gut funktioniert. Meiner Freundin hat es viel Flexibilität gegeben, dass sie aufnehmen kann, wann sie möchte: teilweise direkt nach der Arbeit, wenn das Erlebte noch frisch im Gedächtnis ist. Das war auch eine Überraschung, wie gut das mit den Sprachnachrichten funktioniert hat. Es hat schon einen – zwar zeitversetzten – Dialog ermöglicht, der aber auch seine Vorteile hatte. Wir hatten so auch immer Zeit, zwischendurch nachzudenken und neue Fragen zu entwickeln. So war das Gespräch nicht nach drei Stunden beendet, sondern die Beziehung ging weiter und es kam immer Neues dazu. Das war cool.

Konntest du dein Forschungsdesign wie geplant umsetzen oder gab es zwischendurch auch Planänderungen?  

Ja, ich habe ein bisschen umdisponieren müssen. Mein ursprünglicher Plan war, dass ich ganz viele Stripperinnen interviewen und mehrere Clubs in Wien besuchen wollte. Am Ende bin ich nur ein Mal in einem Club gewesen. Das war gar nicht so einfach, weil sie mich allein nicht reingelassen haben, also musste ich mir männliche Begleitung organisieren. Es ist auch teuer. Und ich wollte auch einfach nicht reingehen, so ein bisschen ‚parasitär‘ beobachten und die Tänzerinnen nicht bezahlen. Ich wollte zumindest ein  Trinkgeld geben können, wenn ich da schon an ihrem Arbeitsplatz bin und was von ihrer Arbeit für mich mitnehmen kann. Deshalb ist es bei dem einen Besuch geblieben.

Aber ich habe teilnehmende Beobachtungen in Poledance-Kursen gemacht. Es war für mich interessant zu sehen, wie dort damit umgegangen wurde, dass sich diese Tanzform aus dem Strippen entwickelt hat. Das Thema ist in den Kursen immer mal wieder aufgetaucht, auch wenn es eigentlich um eine Freizeitsportart ging. Wie geht man damit um, dass Strippen  als anstößig gilt und niemand wirklich als Stripperin gesehen werden will? Irgendwie eignet man sich das doch auch an und spielt ein bisschen mit dieser Rolle, betont aber außerhalb des Poledance-Kurses, dass man natürlich keine richtige Stripperin ist, sondern es nur zum Spaß macht. Diese Gespräche, die Abgrenzung und teilweise eben auch Stigmatisierung, das war für mich relevant. Es gibt auch eine sehr gute Masterarbeit aus der Kultur- und Sozialanthropologie speziell zu Poledance, wenn man mehr darüber erfahren möchte.

Die Masterarbeit ist vor kurzem auch vom Institut als Buch publiziert worden. Gratuliere!

Danke! Ich war lange nicht sicher, ob es klappt, aber jetzt ist es fertig gedruckt! Alexa Färber war so freundlich, es ein bisschen mit mir zu überarbeiten. Was ich auch total cool finde, ist, dass die Studierendenvertretung und das Institut die Umsetzung finanziell unterstützt haben. Natürlich freue ich mich sehr, aber es auch cool für Studierende, wenn es die Perspektive gibt, dass die Masterarbeit nicht einfach in der Schublade verschwinden muss.

Es ist nicht großartig anders, als ich die Masterarbeit an sich geschrieben habe. Die Masterarbeit war eigentlich schon überwiegend in einem wissenschaftlichen Stil, aber auch mit ein bisschen kreativen Aspekten. Ich glaube, man kann das Buch auch lesen, wenn man nicht Europäische Ethnologie studiert hat.

Hast du vor, mit dem Thema weiterzumachen, oder geht das jetzt in eine andere Richtung?

Ich wäre schon offen dafür, wieder was zu dem Thema Sexarbeit zu machen. Ich habe im Sommersemester 2024 auch ein Seminar angeboten, das sich mit medialen Repräsentationen von Sexarbeit beschäftigte. Durch diese Lehrveranstaltung habe ich auch Lust, weiter zu diesem Repräsentationsaspekt was zu machen. Ich wäre aber auch gerne dazu bereit, mal ein anderes Thema in Angriff zu nehmen. Im Moment interessiere ich mich zum Beispiel auch sehr für Asexualität und Aromantik und würde gerne dazu meine nächste Forschung machen.

Und was hast du beruflich in der näheren Zukunft vor?

Ich möchte hier gerne weiter unterrichten, weil ich sehr, sehr gerne unterrichte und noch viele Ideen für Lehrveranstaltungen habe. Wegen der Kettenvertragsregel an der Uni kann ich das leider nicht dauerhaft machen, was ich super traurig finde. Sonst würde ich schon gerne länger hier unterrichten. Das heißt, entweder ich verlasse die Wissenschaft oder ich finde vielleicht eine PhD-Stelle anderswo, das weiß ich aber noch nicht.