Forschen gegen Stigmatisierung – der 11. Interdisziplinäre Workshop für kritische Sexarbeitsforschung in Wien

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Text: Isabella Hesse

Wer zu Sexarbeit forscht, muss sich oft auf Unverständnis, Vorurteile, und die ewig gleichen Fragen zu Begrifflichkeiten gefasst machen. Bei einem derart stigmatisierten Thema ist es für Expert:innen aus Forschung, Praxis und Beratung besonders wichtig, einen geschützten Lehr- und Lernraum zu haben, in dem die eigene Arbeit mit einem aufgeschlossenen Publikum besprochen werden kann. Ein Raum in dem Fragen und Unsicherheiten geteilt werden können, wo solidarische Vernetzung stattfinden kann. Vom 14.-16. November wurde das Institut für Europäische Ethnologie im Rahmen des 11. Interdisziplinären Workshops für kritische Sexarbeitsforschung zu so einem Raum.

Der Workshop wird von der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung veranstaltet, und findet jedes Jahr an einem anderen Standort im deutschsprachigen Raum statt. Dabei wird besonderer Wert auf ein möglichst Hierarchie-freies Miteinander gelegt. Studierende und (Nachwuchs-)Wissenschaftler:innen können Work-in-Progress Arbeiten präsentieren und wertvolles Feedback erhalten.

Sketchnotes von Maura Charlie Steinbach

In Wien begannen die Workshoptage mit einem Vortrag von Christine Nagl, Vertreterin der Fachberatungsstelle PiA Salzburg, und einer Roundtable-Diskussion mit Vertreter:innen österreichischer Selbstorganisationen von Sexarbeitenden (Berufsvertretung Sexarbeit Österreich, sexworker.at, Queer Sex Workers Collective). Unter dem Stichwort „KörperPolitiken“ widmete sich das Roundtable der aktuellen Lage von Sexarbeitenden im deutschsprachigen Raum – vor allem in Österreich – mit Hinblick auf staatliche Eingriffe in ihre Alltagspraxis. In Österreich werden Sexarbeitende dazu verpflichtet sich alle sechs Wochen einer Kontrolluntersuchung zu unterziehen, oder ihre Arbeitserlaubnis zu verlieren. Während die Vertreter:innen des Roundtables ein kostenfreies Angebot der Gesundheitsvorsorge für Sexarbeiter:innen befürworten, bestand Einigkeit darüber, dass die Kontrolluntersuchungen in der aktuellen Praxis ein Instrument von Stigmatisierung und Machtmissbrauch darstellen.

An den darauffolgenden Workshoptagen fanden sich über 30 Forschende, Sexarbeitende und Studierende am Institut ein, um das Themenfeld Sexarbeit und Prostitution aus diversen Blickwinkeln auszuleuchten, von Design bis Rechtswissenschaft.

Mit zwei multimodalen Beiträgen wurde die Frage der Repräsentation von Sexarbeit künstlerisch verarbeitet. Maura Charlie Steinbach (Integrated Design, Technische Hochschule Köln) zeigt mit ihrer Arbeit „The F*cking Truth“, dass es eben nicht die eine Wahrheit über Sexarbeit gibt, sondern multiple, widersprüchliche Perspektiven. Joana Felicia Hirt und Lyv Muniz-Gomes Wägli (Zürcher Hochschule der Künste) ließen in einer audiovisuellen Installation durch Tonlandschaften, Keramikobjekte und Selbstzeugnisse von sechs Sexarbeitenden deren Lebensrealitäten sichtbar werden. Die Installation „Reflecting Projections – Stimmen aus der Sexarbeit“ thematisiert wie Sexarbeitende zu einer Projektionsfläche für Gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht werden – und wie wenig diese Zuschreibungen dann tatsächlich mit den Alltagen von Sexarbeitenden übereinstimmen.

Sketchnotes von Maura Charlie Steinbach

Besonders fruchtbar zeigte sich im Laufe des Workshops der Austausch zwischen Disziplinen bezüglich der Frage der Positionalität. Während es für Europäische Ethnolog:innen zum etablierten Forschungswerkzeug gehört, die eigene Rolle im Feld, eigene Vorerfahrungen und Vorbehalte zu reflektieren, müssen Forschende aus anderen Disziplinen eine derartige Positionierung gegen Vorwürfe der Unwissenschaftlichkeit verteidigen.

Auch nächstes Jahr soll es wieder einen Workshop geben, der Sexarbeitsforschende miteinander in Austausch treten lässt – diesmal in Chemnitz.

Im Organisationsteam des diesjährigen Workshops engagierten sich Maren Hanelt, Ezra Kücken, Ines Hoelbl und Isabella Hesse, tatkräftig unterstützt durch Sabrina Stranzl, stellvertretenden Vorsitz der GSPF und langjährige Organisatorin des Workshops.

Unser herzlicher Dank gilt den Institutionen und Initiativen, die diesen Workshop ermöglicht haben.

GSPF – Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung, W23, IU – Internationale Hochschule, KRIPS – Studierendenvertretung Psychologie, Basisgruppe Soziologie, GEWI – Fakultätsvertretungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen und philologisch Kulturwissenschaftlichen Fakultäten

Und natürlich dem Institut für Europäische Ethnologie, welches uns die Räume für dieses erkenntnisreiche Wochenende bereitgestellt hat.

Sketchnotes von Maura Charlie Steinbach