Hinterlassenschaften – aus der Nähe besehen.

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Foto von Bradyn Trollip auf Unsplash

Von Klara Löffler

Hintergründe

Es waren unklare Verhältnisse, mit denen wir uns im Seminar „Hinterlassenschaften, deren Medien, Räume und Gebräuche“ beschäftigten. Hinterlassenschaften können für sehr Unterschiedliches stehen, sie können Ergebnis des systematischen, proaktiven Regelns eines Erbes sein, aber auch pragmatischen Weitergebens oder schlampigen Zurücklassens. Hinterlassenschaften werden in Haushaltsauflösungen systematisch entsorgt, per Zufall aufgefunden, sie werden öffentlichen Sammlungen vermacht oder auch durch Erb*innen übergeben. Diese Mehrdeutigkeit und Vielfalt begegnet uns auch in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern der Europäischen Ethnologie: im Kulturbetrieb im allgemeinen, im Museum, im Archiv und natürlich auch im Forschungsbereich. Und wir machen daraus – je nach Auftrag der Institutionen, in denen wir als Kulturwissenschaftler*innen arbeiten – Objekte des Erinnerns, des Repräsentierens, der Zeugenschaft, der Epistemologie.

Nach dem Einstieg über die Forschungsliteratur zum Themenfeld gingen wir im Seminar zunächst von der Ebene der Materialität und von den Raumordnungen der Dinge im familiären und privaten Bereich aus. Wir suchten jene Orte und jene (Selbst-)Behältnisse auf, die in den Vorstellungs- und Medienwelten unserer Gesellschaften Hinterlassenschaften bergen oder auch an den Rändern der Ordnungen unseres Wohnens verbergen, vom Dachboden bis zum Keller, von der Schachtel, dem Koffer, der Blechdose, bis zur Schublade. Wie alle historisch arbeitenden Disziplinen interessierten uns nicht nur die Dinge, die wir finden bzw. aufsuchen, sondern vor allem auch deren Vor-Geschichten und Überlieferungswege. Wir untersuchten die Dinge als Gegenstände – im Sinne auch von einem Eigenleben der Dinge – der Praktiken des Hinterlassens und Weitergebens, von Bedeutungsebenen und Handlungsketten, an denen unterschiedlichen Personen und Kollektive, Institutionen und Organisationen beteiligt sein können.

In Materialrecherchen, Beobachtungen und Gesprächen konzentrierte sich der große Teil der Arbeitsgruppe schließlich auf Fragen in der Nähe, in ihrer Nähe – im Sinne biographischer und wissenschaftlicher Interessenlagen und im Sinne des eigenen sozialen Umfeldes.

Es war ein Vorantasten in einem Handlungsfeld, das gleichermaßen von sozialen Verbindungen wie von Verbindlichkeiten geprägt ist, das nicht nur im Falle des Erbens und Vererbens durch starke Konventionen und Regularien gerahmt und gleichzeitig situativ bestimmt ist. Ebenen der Autoethnographie kreuzen sich da mit jenen des kollaborativen Forschens über Praktiken und deren Figurationen. Solche Sondierungen in nicht selten emotional aufgeladenen Konstellationen, die oftmals besondere Diskretion verlangen, verwiesen einmal mehr auf die Verantwortlichkeiten für Effekte und Folgen unseres Forschens.

Diesen in der empirischen Arbeit entstandenen Konfigurationen versuchten wir in der Art und Weise der Darstellung Rechnung zu tragen. Wir entschieden uns deshalb früh dafür, diese Gedankengänge in der Nähe, so lassen sich die Ergebnisse charakterisieren, in einer Form abseits der klassischen Formatvorgaben des universitären Betriebs zu gestalten. Einzelne Bausteine wie Beschreibungen, Kommentare, Hypothesen und Zitate aus der Forschungsliteratur sind lose montiert. Nachweise und Referenzen treten demgegenüber eher zurück.

Entstanden sind so Miniaturen, bewusst schlaglichtartig und fragmentarisch, die den Blick auf Prozesse und Ergebnisse von Transfers (im weitesten Wortsinn) lenken wollen, auf ein Handlungsfeld, das sich mit dem Literaturwissenschaftler Gerhard Richter als Deutungsproblem der besonderen Art darstellt: „Wer erbt, interpretiert.“ Wenn wir Forschen als Übersetzen verstehen, so ist für uns also das Erforschen des Weitergebens, des Ver/Erbens, des Hinter/Zurücklassens, – mindestens – eine doppelte Herausforderung.

Unter der Leitung von Dr. Klara Löffler entstanden im Rahmen des Seminars Kulturelle Praxen und Bedeutungen im Alltag: Hinterlassenschaften, deren Medien und Räume und Gebräuche“ zahlreiche Texte. Studentische Beiträge aus Lehrveranstaltungen sind hier zu finden.