Ari Meyers‘ „Forecast“: Vom Klima zur Wettervorhersage

Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Ari Benjamin Meyers ist Komponist, Dirigent, Regisseur und Künstler in Berlin. Seine Arbeiten sind vielschichtig konzeptualisiert und liefern performative und partizipative Ausdruckmöglichkeiten über die Kunst und Musik. Seine Performance mit dem Titel „Forecast“ behandelt Wetter als Phänomen der Vorhersagbarkeit und ihren menschlichen Reaktionen. Am 3. März war er zu Gast am Institutskolloquium SoSe 2022 zu „Wetter/Wissen“. Ari Benjamin Meyers stimmte einem Interview für den Institutsblog zu (Interviewerin: Vanadis Melchers).


Wie bist du denn eigentlich zu dem Thema Wetter und Klima gekommen?

Also explizit bin ich zu dem Thema Wetter über die Forecast Arbeit gekommen. Das war eine große Arbeit an der Volksbühne in Berlin. Eigentlich bin ich kein Künstler, der konkret zu einem spezifischen Thema arbeitet. Ich stelle viel lieber zusammen und mache eine Komposition mit Leuten und Orten. Konzeptuell. Ortsspezifisch. Menschenspezifisch.

Als ich zur Volksbühne eingeladen wurde, bin ich nach vielen Jahren mit einer neuen Herausforderung zurück am Theater gelandet. Das war für mich ein Moment: „Ok. Es gibt viele Sachen am Theater, die mir nicht gefallen, wie sie sind. Aber was das Theater bietet, ist ein großes Publikum!“ Das Theater ist ein Ort, welcher eine breite Masse erreichen kann. Denn die Menschen im Theater sind vor Ort präsent und es wird Raum zur echten Begegnung geschaffen. Ich bin kein Aktivist, kein Politiker und kein Wissenschaftler. Aber gerade das Thema Klima ist so ein wichtiges großes Überthema, dass viele andere Themen beeinflusst. Klima hat mit Obdachlosigkeit, mit Krieg, mit Kriminalität, mit Geflüchteten zu tun. Außerdem habe ich auch eine Tochter.

Eigentlich bin ich vom Thema Klima zu Wetter gekommen und von Wetter zu Forecast. Weather- Forecast. Denn Wetter ist etwas anderes. Alle reden über das Wetter. Ob es regnet oder nicht. Es hat einen direkten Einfluss auf die Menschen.

Du hast zu deinem Thema konzeptionell gearbeitet und vielschichtig zu verschiedenen Themen?

Ja auf jeden Fall. Die ganze Arbeit war eine offene Probe. Es endete damit, dass das Publikum aufgefordert wird zu handeln. Das war ein Teil.

Das Gefühl der Überwältigung war eine zentrale Reaktion deiner Arbeit. Welche Reaktion hast du dir mit diesem Gefühl erhofft oder erwartet?

Ich denke du beschreibst gerade Part 1 vom Forecast. Die Performance startete mit einem Prolog auf der Bühne, indem ich dem Publikum den Ablauf rational erkläre. Danach erst folgte Part 1: Die Idee war genau diese Reaktion: Das Publikum zu überfluten und zu überfordern. Ich wollte das Publikum in einen adäquaten Zustand zur Thematik bringen. Es ging mir um die Wiederholungen: Ich wollte einen Zustand schaffen. Zustände lassen sich sicherlich auch logisch erklären, aber du kannst Zustände auch durch physische Handlung und Material produzieren. Ich wollte diesen Zustand der Reaktion herstellen, denn so wird Raum geschaffen für Reaktion und es folgt die Reflektion oder Meditation in Part 2. Schließlich gelangten wir zu Part 3: Zur Handlung und zur konkreten Verarbeitung der Informationsflut. Part 1, mit dem Gefühl der Überwältigung ist zentral wichtig: Denn nach diesem Teil sind die Performer und das Publikum aufgerüttelt und erschöpft. Das heißt am Ende sitzen alle im selben Boot. Ich wollte eine Situation schaffen, in der Zuschauer und Performer auf dem gleichen Level sind: Ein Zustand der Aufregung und mit diesem gehen dann alle in den Abend hinein.

Hat die ganze Arbeit zu Wetter Forecast deinen eigenen Zugang zu Wetter verändert? Oder nochmal neu geprägt? Wie siehst du seitdem das Wetter?

Ja also das ganze Thema Wetter hat meine Augen in Richtung Forecast, Vorhersage oder Prognose gerichtet. Denn gerade für die Wissenschaft ist das Thema Vorhersage bis heute eine große Herausforderung. Was bedeutet Vorhersage? Tausende Dateien werden ausgewertet und es wir eine Annahme getroffen. Es bleibt trotz wissenschaftlicher Berechnung eine Vertrauenssache. Das hat auf jeden Fall Konsequenzen: Denn wer anfängt am Wetterbericht zu zweifeln, zweifelt an anderen Sachen.

Wie politisch das Thema Forecast wirklich ist, wurde mir durch die Arbeit und die Recherche bewusst. Politisierung von Prognosen ist für mich ein Thema. Dieser ganze Prozess und auch das Zweifeln oder Vertrauen in Wettervorhersagen. Das war und ist wirklich spannend für mich. Part 3 ist mir dabei sehr wichtig: Denn wir wissen nicht, wie das Programm aufhört. Die Leute wollten damals unbedingt wissen, wie lange das Stück denn dauern wird und ich sagte: „Ich weiß nicht, wie lange das Stück dauert. Das hängt vom Publikum und von den Performern ab“. Diese Aussage oder „Vorhersage“ hat den ganzen Betrieb des Staatstheaters durcheinandergebracht. Das ist vielleicht nicht direkt eine Prognose, aber auf eine Art und Weise doch: Denn wir wissen nicht, wie lange der Abend dauern wird. Das war interessant zu merken, welcher Widerstand hierbei entgegenkam.

Das spiegelt auch den aktuellen Zeitgeist: Alle sind verplant und alles ist auf die Planung der Zukunft ausgerichtet. Der Geist hängt in der Zukunft.

Ja, das ist wirklich ein Riesenthema. Klar, wir sind immer mit der Zukunft verwoben. Am Ende kommen wir immer wieder zurück zu Zeit. Alle Prognosen sind Zeitdinge. Und hier arbeite ich über die Musik und die Komposition als Werkzeuge zum Thema Zeit.


The Institutskolloquium SoSe 2022 with the title Weather/Knowledge: Culture-analytical Perspectives on States of the Atmosphere gathers contributions from economic and social history, history of science, media studies, cultural anthropology, climate science as well as European ethnology, which open up manifold perspectives on the topic of weather/knowledge, from micro-analytical approaches to global considerations. The colloquium is organized by Christian Elster and Anna Weichselbraun.