Der physische Schlag und Gewalt – ein Gespräch mit Paul Bowman

Geschätzte Lesedauer: 3 Minuten

Beitrag von Chihab Kraiem

Bild von Bernhard Fuchs

Im Rahmen des Institutskolloquiums Gewalt_Losigkeit fand der Vortrag „Reorienting Violence: On Self-Defence Training, Violence and the Sublime“ von Paul Bowman statt. Welcher hier einsehbar ist. Bowman beschäftigt sich im Rahmen der Martial Arts Studies aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit Kampfkünsten und modernen Combatives – und Selbstverteidigungssystenen. Als Kampfkunstpraktizierender, der sich bisher mit dem Thema allerdings nur aus einer historischen und genderanalytischen Perspektive befasst hatte, freute es mich mit ihm ein längeres Gespräch über unsere Auffassungen von Gewalt führen zu können. Während der Vortrag sich stark mit Selbstverteidigungstrainings auseinandersetzt, wurde im Gespräch die Gewaltfrage vor dem Hintergrund von Kampfkunst und Kampfsport betrachtet. Der wichtige Unterschied ist das Selbstverteidigungstraining sich mit der Vermeidung einer gefährlichen Situation beschäftigt, während Kampfsport das Ziel hat auf eine abgemachte Auseinandersetzung vor zu bereiten, sei es Sparring oder Wettkampf.

Unser Ausgangspunkt war hier Judith Butlers Definition des „phsical blow“ als für alle klar erkennbare Gewalt (Judith Butler, The Force of Nonviolence: an ethico-political bind. London – New York: Verso 2020). Bereits in der Diskussion im Kolloquium war dies von Bowman aufgegriffen worden, da im Kontext von Kampfsport ein Schlag sehr viele andere Bedeutungen haben kann. Während Butler also die Definition von Gewalt erweitert, indem sie von dem Schlag ausgehend viele weniger offensichtliche Fälle von Gewalt aufführt, hinterfragt sie nie den Schlag selbst.

Angesprochen auf das Verständnis von „Violence as Violation“, also etwas subjektiv Empfundenes, anstatt einer objektiv nachweisbaren Kraft (nach Alex Channon, Christopher R. Mathews, Understanding Sports Violence: Revisiting Foundational Explorations. 2016) zeigte Bowman zwar viel Verständnis dafür, insbesondere im Kontext von Kampsport. Als allgemeine Gewaltdefinition empfand er sie aber als mangelhaft.

Gleichzeitig war die Idee, im Kampfsport entstandene Verletzungen wären das Ergebnis von Gewalt für uns nicht zufriedenstellen. Wir konnten beide von Situationen berichten, in denen wir im Training wesentlich härter getroffen worden waren als ausgemacht, ohne dies als Gewalt zu empfinden. Das war der Fall obwohl diese Schläge nicht immer folgenlos gewesen waren – in meinem Fall hatte ich eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen.

Ausgehend von dieser Gehirnerschütterung – also einer objektiv nachweisbaren Verletzung – diskutierten wir die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Kampfsportler*innen und außenstehenden Beobachter*innen. Bowman warf die Frage auf, ob das physische Trauma nicht von der Idee von Gewalt zu trennen sei, schließlich würde niemand argumentieren, dass eine Kletterer*in, welche*r sich verletzt Gewalt durch die Natur erlitten hätte. Leider gelang es uns in den fünfzig Minuten unseres Gespräches nicht eine zufriedenstellende Gewaltdefiniton zu finden.

Ein weiterer Aspekt, wo das Erleben der Praktizierenden sich fundamental von den Beobachtungen von außen unterscheidet, sind die transformativen Effekte welche wiederholtes Training und das Meistern der technischen Aspekte mit sich bringen. Sei es das korrekte Greifen einer Hantelstange, um mehr Kraft übertragen zu können oder der exakte Winkel, den eine Schwertklinge zu einer anderen einnehmen muss, um einen Stich sicher setzen zu können. In all diesen Situationen liegt eine Belohnung für langes Training, ein erfüllendes Erlebnis, welches nicht wirklich mitteilbar ist. Hier liegen die „völlig neuen Welten“ verborgen, welche Bowman in seinem Vortrag anspricht.

Zum Thema, ob gewalttätige Impulse tatsächlich durch Kampfsporttraining überwunden werden, wurde von mir das Beispiel von RAM und anderen Neonazigruppen aufgebracht, die Kampfsport trainieren, um sich besser auf gewalttätige Auseinandersetzungen vorzubereiten. Von Bowman wurde hier eingeworfen, dass auch dabei eine gewisse Reorientierung stattfände, nämlich insofern, dass auch in diesem Training die oben erwähnten Aspekte zum Tragen kämen, neben der Nähe und Kameradschaft, welche ein Trainingsumfeld fördert. Dies geschieht somit im Training unabhängig davon, wozu das Training später eingesetzt wird.


Chihab Kraiem studiert Globalgeschichte und Globalstudies an der Universität Wien. Er trainierte verschiedenen Kampfkünste und ist Trainer für Historisches Fechten (Hema).