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Ein Essay von Christian Elster, Sebastian Rau & Timo Walser
„Here comes the sun“, „Why does it always rain on me“, „Heatwave“ – Wetterphänomene, ganz gleich ob Sonnenschein, Wolkenbruch, Donner, Sturm oder Hitze sind häufige Motive in Popsongs. In der Lehrveranstaltung „Kulturanalytische Perspektiven auf das Wetter“ haben wir uns mit ganz unterschiedlichen kulturellen Dimensionen des Wetters befasst. Für eine abschließende Übung sammelten wir Songs, die sich ums Wetter drehen. Davon gibt es unzählige! Wir konzentrieren uns hier auf jene Titel, die wir in der Lehrveranstaltung kollektiv kompiliert haben. Jede*r Teilnehmer*in steuerte ein Lied bei. So entstand diese Playlist.
Sie ist chronologisch angeordnet und enthält 14 Songs aus acht Jahrzehnten. Der älteste „Let it snow! Let it snow! Let it snow“ wurde 1945 geschrieben, erlangte jedoch erst 1959 in der Version von Dean Martin große Bekanntheit. Das aktuellste Lied der Liste ist „Der heißeste Tag des Sommers“ von Der Nino aus Wien und erschien 2014. Geografisch vereint unsere Zusammenstellung Musik aus Australien, Deutschland, England, Tschechien, den USA und Österreich. Wir haben diese Songs in einer pandemiebedingt virtuellen „Deutungswerkstatt“ gemeinsam angehört uns dabei eine Reihe von Fragen gestellt: Wie wird Wetter in den Songtexten thematisiert? Welche Funktionen haben diese Wettermotive und welche Interpretationen legen sie nahe? Wie werden Wetterereignisse klanglich umgesetzt? Und was verraten diese popkulturellen Repräsentationen darüber hinaus über das Verhältnis von Menschen zum Wetter?
In den folgenden drei essayistischen Kapiteln tragen wir einige zentrale Ergebnisse unserer Diskussion zusammen. Zunächst zeigt Timo Walser auf, wie vielfältig das Wetter als Metapher für Stimmungslagen und Emotionen eingesetzt wird. Dann geht Christian Elster am Beispiel des Wiener Sommers darauf ein, wie Wetter in der Popkultur als lokale Besonderheit beschrieben wird und so zur kulturellen Textur eines Ortes beiträgt. Schließlich wendet sich Sebastian Rau Wetterkatastrophen zu und analysiert, wie Wirbelstürme und Gewitter zum Gegenstand von Rock’n’Roll-Songs und einem klassischen Werk werden.
Alle Songs, die im Text erwähnt werden, finden sich in der Spotify-Liste. Jedem Abschnitt steht zudem ein Link zu einem Song voran, der für die Passage von besonderer Bedeutung ist.
Timo Walser: Wettermetaphorik
Es ist mir zur Gewohnheit geworden, beim ersten Schneefall der Saison kurz innezuhalten, und mich auf die neue Jahreszeit einzustellen. Letztens stand ich also am Fenster und war doch überrascht, wie stürmisch diesmal der erste Schnee flog. Ich dachte mir, ich hätte diesen Moment gerne mit einem Song begleitet – doch mit welchem? Ich durchsuchte meine Mediathek mit ein, zwei „wetterhaften“ Schlagwörtern und kam über „storm“ schnell zu „Stormy“, einem Instrumentalsong von den Meters aus dem Jahr 1969. The Meters fand ich immer schon gut (wer nicht?) und dieser Song schien perfekt zur Situation zu passen. Eine tobende Hammond-Orgel imitiert zu Beginn eindrücklich, was sich draußen vollzog, nämlich wildes Schneerauschen – und wenn der Song dann abrupt ruhiger wird, überhaupt nicht mehr stürmisch, war das für mich genau die Entsprechung zur Ruhe in meinem (zum Glück) wetterlosen Zimmer. „Stormy“ ist, wie ich herausfand, eigentlich ein Cover von den Classics IV. Die besingen im Original aber natürlich gar keinen (wienerischen) Wintereinbruch und überhaupt nicht einmal das Wetter selbst, sondern den ‚stürmischen‘ und ‚wechselhaften‘ Charakter eines Mädchens. („You were the sunshine, baby, whenever you smiled … But, like the weather ya changed … Oh Stormy, oh Stormy – Bring back that sunny day“)
Wettererscheinungen als Metapher für Charaktereigenschaften und, viel häufiger, für Stimmungsumbrüche und Gefühle – allen voran für die Liebe – sind gängige Motive in Popsongs. Die Art und Weise, wie dabei Wetter und Stimmungen in den Songtext eingewoben werden, kann ganz unterschiedlich sein. Angelehnt an die kanadische Kulturwissenschaftlerin Jody Berland (1994) möchte ich hier vier Arten von Metaphern anführen, die sich in unserer Playlist wiederfinden.
(a) Häufig sind einzelne Wettervorkommnisse wie Sturm, Nebel, Regen, Sonnenschein, Wind, … mit je eigenen Stimmungen konnotiert: Leidenschaft, Trübsal, Traurigkeit, Freude, Veränderung, … Eine zentrale Rolle in diesen Analogien äußerer (Wetter) und innerer Zustände (Gefühle) spielt die Dichotomie von Sonne und Regen, von gutem und schlechtem Wetter: Wenn die Sonne kommt, ist alles allseits gut – der Regen dagegen betrübt und belastet. („Everybody loves the sunshine“, Roy Ayers Ubiquity 1976, „Here comes the sun, And I say it’s all right“, Beatles 1969 – Im Gegensatz zu: „Ich schau nach draußen auf den Tag, Es regnet und ich kann nicht mehr. Wo ist der blaue Himmel hin?“ – Blumfeld 2001)
(b) Stimmungen wird indirekt Ausdruck verliehen, wenn sie einer gegenteiligen Wetterlage trotzen und sich weder in die eine, noch die andere Richtung beeinflussen lassen: Traurigkeit ist besonders belastend, wenn sie auch durch gutes Wetter nicht aufgeheitert wird, und einer wirklich großen Freude kann der schlimmste Regen nichts anhaben. Dies demonstriert Gene Kelly mit seinem weltberühmten „Singing in the Rain“, dem Tanz im Regen. Ungehindert durch das schlechte Wetter tritt Gene Kelly hinaus auf die Straße und singt voller Liebe vor sich hin. („I’m singing in the rain … I’m laughing at clouds, So dark up above, The sun’s in my heart”, Gene Kelly 1959). Auch bei Petr Rezeks „Prší krásně“ (1981), „Es regnet wunderschön“ kann der Regen den frisch Verliebten nichts anhaben.
(c) Wetter spielt in Songs manchmal auch insofern eine Rolle, als es durch bestimmte Stimmungen erst hervorgebracht wird. Der Verlust einer geliebten Person kann beispielsweise zur (metaphorischen) Verdunklung des Himmels führen. („Cause there’ll be no sunlight If I lose you, baby, There’ll be no clear skies … Everyday it’ll rain“, Bruno Mars 2011)
(d) Schließlich, manche Stimmungen werden nicht wie ein besonderes Wetter charakterisiert oder wechselwirken nicht auf besondere Weise mit dem Wetter, sondern sind, was sie sind, weil ihnen alles Wetter und alle äußeren Umstände ganz gleichgültig sind. („Through all kinds of weather, through everything we’ve done“, Janis Joplin 1971)
Wie lässt sich der so häufige Verweis auf das Wetter verstehen, wenn wir von unseren Emotionen, Stimmungen oder zwischenmenschlichen Beziehungen sprechen? Berland zeigt hier verschiedene Perspektiven auf. Eine sehr pragmatische hat mit kulturindustriellen Entwicklungen zu tun. Jody Berland weist darauf hin, dass gerade in den 1930ern bis 50ern, der „,classic‘ era of the love song“ (Berland 1994: 22) eine strenge Zensur für das gerade erst etablierte Radio herrschte. Songs mussten (sexuelle) Liebe in übertragenem Sinne benennen, wenn sie dort gespielt werden wollten. Dies führte zu einer weitreichenden (Selbst-)Zensur bereits beim Schreiben der Songtexte und es blieb bei vielen Andeutungen. Erst ab den 1960ern wurde dies aufgelockert, als Liebe direkter und deutlich ausdifferenzierter thematisiert wurde – mit entsprechend neuen Metaphern und Wetterbildnissen.
Die in Songs so allgegenwärtige Wettermetaphorik ist jedoch sicherlich nicht nur auf die Zensurmechanismen im Radio rückführbar. Vielmehr können wir sprachlich oft gar nicht anders, als uns unseren Emotionen und Empfindungen metaphorisch anzunähern. Das Wetter mit all seinen Tücken, Umschlägen, Genussseiten und Ausreißern bietet sich dafür vorzüglich an. Wie sonst sollte man die Gefühlswelt beschreiben, die wohl die Band AC/DC im Sinne hat, wenn sie „Thunderstruck“ vor tausenden von Zuschauer*innen performt? – vom Blitz getroffen, donnernd, ekstatisch, sexuell aufgeladen, elektrisiert – thunderstruck!
Berland zeigt auf, wie viel Wettermetaphern über die zu einer bestimmten Zeit gängigen Vorstellungen verraten, die Menschen von der Natur oder von Gefühlswelten haben. Die lange Tradition der Wettermetaphorik in Songs prägt dabei nicht nur die Weise, wie wir über unsere Emotionen sprechen, sondern auch, wie wir Emotionen empfinden (vgl. Berland 1994: 33). Die Wettermetaphorik haben wir schon lange zu stark verinnerlicht, als dass sie nur mehr Metaphorik wäre – sind unsere Gefühle also tatsächlich ein bisschen wie das Wetter?
Christian Elster: Wiener Sommer
„Am heißesten Tag des Sommers“ von Der Nino aus Wien handelt von einem dieser Hundstage, die den Bewohner*innen der Stadt nur allzu bekannt sind. Wie von der Hitze angeschlagen schleppt sich der Song monoton dahin, einfach instrumentiert mit Gitarre, Trommel, Schellenkranz und Orgel. Darüber singt Der Nino aus Wien mit lethargischer Stimme:
„Am heißesten Tag des Sommers,
Wenn die Wiesen trocknen,
Brennt der Fisch zum stillen Griller,
Donnert es,
Die Wolken, die erkennt man nicht.
Die Boote auf der alten Donau wandern um das Sonnenlicht zu meiden,
Und die Landbewohner schreiben ihr Gedicht in Sand am Rand der Wiese,
Die verbrannt sich freut über den Untergang.
Die Wellen da von Tag zu Tag noch höher als vor einem Jahr, als diese Stadt im Sterben
lag.“
Die hochsommerlichen Szenen bleiben unkonkret, teilweise kryptisch. Gleich eines „Streams of Conciousness“ führen die Gedanken des Erzählers vorbei an vertrockneten Wiesen und Steckerlfisch(?), drohenden Gewittern und dem sommerlichen Leben auf der Alten Donau. Doch selbst die bietet keine Abkühlung mehr. Während im Text später für das lyrische Ich ein Glas Bier bereitsteht, mangelt es der Natur an Feuchtigkeit. Das Gras gibt sich in stereotyper Wiener Todessehnsucht freudig dem Untergang hin. Die erste Strophe endet mit der Erinnerung an die Hitzewellen des letzten Sommers, die die Stadt alljährlich zum Erliegen bringen. Unterbrochen von der wiederkehrenden Zeile „Am heißesten Tag des Sommers, wo ich meine Jacke ausziehen mag“ skizziert die zweite Strophe weitere sommerliche Szenen, bis sich in der dritten die Vorfreude auf den Herbst Bahn bricht. „Die Stunden jetzt, wann enden sie? Rapid besiegt klar Tripoli. Ich freue mich auf den Herbst in Wien“.
Ganz ähnliche Motive finden sich bereits 170 Jahre früher bei Adalbert Stifter. Im satirischen Essay „Wiener Wetter“ (1981 [1843]) thematisiert Stifter nicht nur die sich in dieser Zeit institutionalisierende Meteorologie und dokumentiert somit ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Er erzählt auch von den Besonderheiten des Wiener Wetters und dessen Auswirkungen auf das städtische Leben. „[E]he man sich’s versieht, ist die Stadthitze da und der Sommer, die unerträglichste, schändlichste Jahreszeit, wenn man das Unglück hat, ihn hier verbringen zu müssen.“ (ebd.: 138)
Orte werden in Musik und Literatur häufig mit Wetterlagen und Klimata in Verbindung gebracht. Während Wien (nicht zuletzt durch den Nino aus Wien und Adalbert Stifter) als im Sommer besonders heiße Stadt bekannt ist, gilt beispielsweise Hamburg nahezu jahreszeitenunabhängig als regnerisch und grau. Popkulturellen Widerhall findet das zum Beispiel in „Ich weigere mich, aufzugeben“ der Band Superpunk: „Und wenn der Regen schwer, auf Hamburg fällt, dann kommt es mir so vor, als regnete es überall auf der Welt“.
Solche lokalen Zuschreibungen basieren einerseits auf (Alltags)Beobachtungen und meteorologischen ‚Fakten‘, die die Häufigkeit von Wetterlagen eines Ortes statistisch dokumentieren. Gleichzeitig sind sie (Aushandlungs)Gegenstand kultureller Repräsentationen und lokaler Identitäten. Folgt man Rolf Lindner, dann verdichten sich solche Texte, Bilder und eben Songs zu einer „kulturellen Textur der Stadt“ (Lindner 2008). Dieses Bedeutungsgewebe, in das ein Ort förmlich verstrickt ist, beeinflusst dessen Image nach außen, aber auch die Art und Weise, in der Menschen an einem Ort fühlen, sich identifizieren.
Noch ein weiteres Lied aus unserer Playlist trägt zum Wetter-Image eines Ortes bei. In „California Dreaming“ (1969) von The Mamas and the Papas wird der Westküstenstaat als warmer, heimeliger Sehnsuchtsort gezeichnet, adressiert von einem lyrischen Ich, dass sich an einem winterlichen, kalten Ort befindet. („All the leaves are brown, and the sky is grey, I’ve been for a walk, On a winter’s day. I’d be safe and warm, If I was in L.A., California Dreaming …“)
Das milde Klima wird durch den harmonischen Gesang im Call and Response-Stil klanglich illustriert. Es entsteht ein positives Bild, das sich mit vielen popkulturellen Repräsentationen des US-amerikanischen Südwestens deckt (wir assoziierten Bilder von Stadtstränden, Palmen, dem Ozean). Der Song legt jedoch auch eine metaphorische Deutung nahe. Versteht man das kalifornische Klima als soziales Klima, dann steht der kalifornische Traum für die Utopie einer freien, offenen, progressiven Gesellschaft wie sie stereotyp mit der „Hippiekultur“ verknüpft wird. Die hatte zur Zeit des Erscheinens des Liedes in Kalifornien ihr Zentrum. Zu überwinden gilt es in dieser Lesart eine als kalt empfundene, konservative gesellschaftliche Realität. Fünfzig Jahre später drängt sich die Frage auf, inwiefern sich das besungene kalifornische Klima inzwischen gewandelt hat. Die sozialen und politischen Konflikte der amerikanischen Post-Trump-Ära einerseits und die unübersehbare Klimaerwärmung, die in Kalifornien durch jährlich immer weiter um sich greifende Waldbrände offenbar wird, lassen das Bild vom „kalifornischen Traum“ heute schief erscheinen. Das Wetter taugt in Zeiten der Klimakatastrophe nicht mehr als harmlose Metapher. Es deutet sich viel mehr an, dass Songs wie „California Dreaming“ auf dem Weg sind, zu historischen Zeugen sich wandelnder klimatischer Bedingungen zu werden – im metaphorischen wie im meteorologischen Sinn.
Sebastian Rau: Wirbelstürme und Klanggewitter
Wetterkatastrophen sind für betroffene Menschen einschneidende Ereignisse und so finden sie auch in der Musik ihren Raum. Drei Beispiele aus unserer Playlist verdeutlichen das.
Am 23. August 2005 zieht der Hurrikan Katrina über die Ostküste der USA. Besonders betroffen ist die Stadt New Orleans. Es entstehen Schäden von über 100 Milliarden US-Dollar und 1836 Menschen verlieren ihr Leben. Die Bilder von der Golfküste dürften vielen Menschen in Erinnerung geblieben sein, und machen vielleicht auch ein Lied, das in Folge des Hurrikans geschrieben wurde: „O Katrina“ von den Black Lips. Der minimalistische Rock’n’Roll-Song gleicht einem Klagelied. In den textlich identischen Strophen sowie dem Refrain wird der Wirbelsturm immer wieder direkt adressiert:
O, Katrina! (O, Katrina!)
O, Katrina! (O, Katrina!)
O, Katrina! (O, Katrina!)
Why you gotta be mean?
Das übermächtige Naturereignis wird personalisiert, als würde es so handhabbarer. Auch in einer Zeit, in der verheerende Wirbelstürme nicht mehr zürnenden Göttern zugeschrieben werden, kommen Wetterkatastrophen nicht ohne die Benennung von Verursacher*innen aus. Erst das macht sie erzählbar (vgl. Lutz 2008: 16). Als personalisiertes Wetterereignis wurde Katrina, wie viele andere meteorologische Großereignisse auch, zu einem global rezipierten Medienevent. Auch das lyrische Ich aus dem Song der Black Lips hat die Katastrophe nicht vor Ort erlebt, sondern über das Fernsehen von den Verheerungen erfahren: „I can’t believe what I saw on the telescreen. O, Katrina! Why could you be so mean?“ Die immer wiederkehrende Frage „Why you gotta be mean“ bzw. „Why could you be so mean?” wirkt verharmlosend und beinahe ironisch. Sind nicht eher Jugendliche gemein, die anderen einen fiesen Streich spielen? Verdeutlicht das scheinbar unpassende Adjektiv das unmittelbare Entsetzen über die Zerstörung und die Hilflosigkeit, die damit verbunden ist? Größenordnungen können angesichts solcher Katastrophen an Maßstab verlieren.
Nicht nur in Songtexten finden sich Bezüge zu Unwettern. Einige Werke verzichten gänzlich auf Text und thematisieren das Wetter mit musikalischen Mitteln. Als „klassisches“ Beispiel wären hier die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi zu nennen. Das Stück, das die vier Jahreszeiten musikalisch darstellt, hat unter anderem ein Sommergewitter zum Thema. Im letzten Satz des Teilstücks Sommer zieht ein Gewitter auf. In diesem Klanggewitter werden Akkorde gebrochen und Töne repetiert. Für Zuhörer*innen wirkt dieser Satz hektisch und laut, man kann sich in das Gewitter hineinfühlen. Als Kind habe ich dieses Stück in der Schule gehört und das Sommergewitter ist so eingehend inszeniert, dass ich bei Gewitter heute noch an Vivaldi denken muss.
Eine weitaus größere Wetterkatastrophe als ein Sommergewitter thematisiert die Leopold Kraus Wellenkappelle 2005 in dem Song „Lothar 99“. Es handelt sich, wie der Titel schon verrät, um ein Lied über den Orkan Lothar, der 1999 über Süddeutschland sowie Nordfrankreich, die Schweiz und auch Österreich zog. Ich bin in dieser Region aufgewachsen und erinnere mich noch, wie ich mit meinem Vater einige Tage nach dem Sturm durch den Schwarzwald fuhr. So ein Ausmaß an Zerstörung durch eine Wetterkatastrophe habe in Deutschland seither nicht mehr gesehen. Der Sturm erreichte Windböen von bis zu 272 Kilometer pro Stunde. Die Freiburger Band Leopold Kraus Wellenkappelle ließ sich von diesem Sturm inspirieren und bedient sich ganz ähnlicher Stilmittel wie Vivaldi, setzt aber auf andere Instrumente. Gitarre, Schlagzeug und auch elektronische Elemente stehen hier im Vordergrund. Die Wucht und das Chaos, das der Orkan angerichtet hat, kann man deutlich aus dem Musikstück heraushören. Wetterkatastrophen, das zeigen diese Beispiele, können in ihrer Wucht also inspirierend für klangliche Kompositionen sein. Und sie eignen sich, die Erinnerung an verheerende Wetterereignisse zu konservieren. Wir vermuten: Sowohl das Schreiben als auch das (gemeinsame) Hören können Strategien darstellen, um auf die Unberechenbarkeit und Gewalt von Wetterkatastrophen zu reagieren.
Verweise:
Berland, Jody (1994): Blue skies from now on. Weather motifs in popular song. In: Public (10), S. 21-39. Online verfügbar unter: https://public.journals.yorku.ca/index.php/public/article/view/30482/28003
Lindner, Rolf (2008): Die kulturelle Textur der Stadt. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 104 (2), S. 137-147.
Lutz Petra (2008): 2° Das Wetter, der Mensch und sein Klima. In: Petra Lutz und Thomas Macho (Hg.): 2° Das Wetter, der Mensch und sein Klima. Eine Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 2008. Göttingen, S.16-19.
Stifter, Adalbert (1981 [1843]): Wiener Wetter. In: Kursbuch 64 (1981). S. 133-145.