Welcher Strategien bedient sich feministische Pornographie, um Stereotype Vorstellungen über sexuelle Lust aufzubrechen und sexuelle Vielfalt zu repräsentieren?
Beitrag und Skizzen von Julia Brunner
Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 geben rund 96 % der Männer sowie 86 % der Frauen an, mindestens einmal in ihrem Leben einen Porno gesehen zu haben – das macht circa 91 % der österreichischen Gesamtbevölkerung aus. Eine weitere Studie aus Deutschland zeigt auf, dass Jugendliche durchschnittlich im Alter von 14,2 Jahren das erste Mal einen Porno sehen. Erwähnenswert ist auch, dass 37 % der Buben unbeabsichtigt zum ersten Mal mit Pornographie in Berührung kommen, bei Mädchen sind es sogar 60 %.
So wie bei mir. Ich dürfte so acht Jahre alt gewesen sein, als meine damals 16-jährige Schwester ein paar ihrer Freundinnen eingeladen hatte. Einer davon meinte, er müsse mir etwas zeigen. Ich setzte mich zu ihm und beobachtete ihn, während er etwas in die Suchzeile des Computers tippte. Plötzlich sah ich Dinge, die eine Achtjährige wohl nicht sehen sollte – zumindest nicht in diesem Ausmaß. Eine Vielzahl nackter Körper, Flüssigkeiten und Geschlechtsorgane blitzten mir ins Gesicht, ich wusste gar nicht wo ich hinschauen sollte. Er lachte, ich schämte mich, überhaupt hingesehen zu haben, fühlte mich klein und machtlos und ging. Selbst wenn es nur die Startseite einer Pornographie-Homepage war – das sollte also meine erste Erfahrung mit Pornographie gewesen sein. Die zweite erfolgte dann mit 14. Ich unternahm an diesem Nachmittag etwas mit zwei Freunden. Während die Burschen in diesem Alter offen über Masturbation und Pornographie redeten, war ich still – ich hatte keine Ahnung, wenig Interesse und sowieso war in meinem Kopf abgespeichert, dass Pornographie und Masturbation was für Männer seien und nichts für mich. Also beschlossen sie, mich in die Welt des Pornos einzuführen. Was ich gesehen habe, weiß ich nicht mehr, nur noch, dass ich es schrecklich fand. Also beschäftigte ich mich auch weiterhin nicht mit der Thematik und war bis vor einigen Jahren noch geschockt, als zwei Freundinnen mir erzählten, dass sie regelmäßig Pornographie konsumieren. Erst dann begann ich nachzudenken – ist Pornographie tatsächlich nur für Männeraugen bestimmt? Wie werden wir als Gesellschaft durch Mainstream-Pornographie geprägt? Und wie versucht feministische Pornographie, Vorstellungen über Lust und sexuelle Begierde neu zu definieren?
Ausgehend von der Überlegung, dass Pornographie einen wesentlichen Teil sexueller Aufklärung übernimmt, möchte ich mich diesen Fragestellungen widmen. Nach einer theoretischen Auseinandersetzung im ersten Teil, werde ich dann im zweiten Teil auf meine eigene Recherche hinsichtlich feministischer Pornographie eingehen. Laut der Kulturhistorikerin Constance Classen gilt die weibliche Sexualität schon historisch betrachtet als problembehaftet. Sie beschäftigt sich in ihrem Werk mit Sinnen und deren Konnotation. Während männliches Handeln ausgeprägte Fähigkeiten des Sehens und des Hörens erfordern, werden Frauen* mit den niederen Sinnen wie Fühlen, Schmecken und Riechen in Verbindung gebracht. Frauen, die sich höherer Sinne bedienten, wurden als Hexen bezeichnet, die durch ihre Sexualität die Macht besäßen, Männer* ihrer Vernunft zu berauben. Weibliche Sexualität galt als verpönt und das Ausleben von Lust und Begierde war rein Männern* vorbehalten (vgl. Classen 2005: 70f.).
Die Problematisierung weiblicher Sexualität wird auch im Essay der Filmtheoretikerin Laura Mulvey „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ thematisiert. Für sie dienen Filme dazu, visual pleasure zu befriedigen. Sie meint, Filme werden für und von Männern* produziert, indem die Darstellung der Frau* viel eher der Vorstellung des Mannes* entspricht als der tatsächlichen Realität. Mulvey orientiert sich hierbei an psychoanalytischen Theorien. Skopophilie (the pleasure in looking) und die daraus resultierende Objektifizierung des Subjekts als Teil menschlicher Sexualität wird durch stereotype Darstellungen von Weiblichkeit befriedigt. Der Mann* nimmt hierbei eine aktive Rolle ein, während die Frau* passiv ist. Männliche Zuseher identifizieren sich mit dem Helden des Filmes, während Frauen* auf zwei Weisen dargestellt werden: widerständig, weswegen sie unter Kontrolle gebracht werden müssen oder als Fetischobjekt der männlichen Begierde (vgl. Mulvey 1999: 60ff.).
Die Theorie lässt sich auch in der Betrachtung von Mainstream-Pornographie anwenden. Die Kultur- und Sozialanthropologinnen Christian Hansen und Catherine Needham und der Filmtheoretiker Bill Nichols haben sich in ihrem Text mit den Gemeinsamkeiten zwischen Ethnographie und Pornographie auseinandergesetzt. Hierbei greifen sie auf die Theorie des Othering des Kulturwissenschaftlers Edward Said zurück. Durch die Repräsentation des vermeintlich Anderen kommen ungleiche Machtdynamiken zum Vorschein. Im Film sticht der weiße Held im Kontrast zu dem Anderen hervor. Für die Narrative nehmen die Anderen eine untergeordnete Rolle ein (im Falle des Pornos ist das die Frau), um die Besonderheit des Protagonisten zu betonen (vgl. Hansen/ Needham/ Nichols 1989: 65f).
Laut dem Künstler und Autor Robert Schultz ist der primäre Sinn heteronormativer Pornographie die schnelle Befriedigung sexueller Bedürfnisse, während Sexualität auf ihre biologische Funktion reduziert wird (vgl. Schultz 1995: 379). Hinzu kommt noch, dass durch die Repräsentation Macht und patriarchale Strukturen (re)produziert werden, indem Hierarchien naturalisiert werden. Beschäftigt man sich mit Pornographie, stößt man unweigerlich auf Fragen wie „Wer initiiert den sexuellen Akt?“, „Wie endet der Porno?“ und „Wie wird Sexualität repräsentiert?“. Meist führt der Mann* die aktive Rolle aus, die Frau* stellt das Andere dar. Durch Nahaufnahmen wird der Körper fragmentiert und nicht mehr als Subjekt wahrgenommen (vgl. Hansen/ Needham/ Nichols 1989: 67f.).
Schultz kritisiert die Objektifizierung der Körper im Porno nicht vollkommen. Er meint, dass Objektifizierung in sexuellen Handlungen immer stattfindet. Der Körper stellt das Objekt der sexuellen Begierde dar. Vielmehr ginge es um die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt (vgl. Schultz 1995: 371). Zudem kann man im Mainstream-Porno nicht nur von einer Objektifizierung der Frau* gesprochen werden, sondern es kommen auch stereotype Vorstellungen von Männlichkeit und Lust zum Vorschein. Der Mann – dargestellt mit einer Dauererrektion – zeichnet sich durch seine unermüdliche Ausdauer aus und seine Fähigkeit, eine Frau* durch reine Penetration zum (wahrscheinlich gefälschten) Orgasmus kommen zu lassen. Der Phallus als Machtsymbol repräsentiert Männlichkeit – hierbei kommt es zu einer Reduktion von männlicher und weiblicher Lust: die Frau* als williger, passiver Part; der Mann* im Kontrast aktiv und dominierend. Eine Darstellung, die auf der Annahme basiert, sexuelle Begierde würde nicht darüber hinausgehen. Ein Beispiel hierfür wäre der Cum Shot – der Phallus steht im Fokus der Aufmerksamkeit und steht symbolisch für Männlichkeit: seine zentrale Funktion in diesem Moment ist die Ejakulation (vgl. Hansen/ Needham/ Nichols 1989: 69ff.).
Ursprünglich kommt der Begriff Pornographie aus dem Altgriechischen und heißt wortwörtlich „über Huren schreiben“. Radikalfeministische Gruppierungen, die sich als die PorNO-Bewegung zusammengeschlossen haben, meinen, dass Pornos patriarchale Strukturen und Ungleichverhältnisse im Gendersystem (re)produzieren. Sie argumentieren, dass nicht nur die Frau* als Pornodarstellerin diskriminiert wird, sondern Frauen im Allgemeinen. Die Argumente decken sich mit denen der aufgelisteten Merkmale des heterosexuellen Mainstream-Pornos – Frauen werden ihrer Subjekthaftigkeit beraubt und als Mittel zum Zweck der männlichen Bedürfnisbefriedigung missbraucht. Hierbei teilen Radikalfeministinnen sowie konservative Parteien dieselbe Meinung: Pornos sollten verboten werden (vgl. Bader 2016: 11ff.).
Es zeigt sich ein wichtiger Aspekt – Feminismus ist nicht gleich Feminismus. Auch innerhalb einer Richtung lassen sich unterschiedliche Meinungen verorten. Die Rechtswissenschaftlerin Ekaterina Nazarova argumentiert, dass sich Feministinnen seit Jahren mit ähnlichen Themen beschäftigen – von Sexarbeit bis sexualisierte Gewalt. Innerhalb der Szene kommen trotz derselben Themenschwerpunkte Kontroversen zum Vorschein, was vor allem in der Auseinandersetzung mit Pornographie deutlich wird (vgl. Nazarova 2016: 35). Primär wird der PorNO-Bewegung vorgeworfen, dass sie von einem binären Gendersystem ausgeht, schwerwiegende Probleme, die zur (Re)Produktion von Machtverhältnissen führen ausblendet sowie die Frau* gezwungenermaßen in die Opferrolle schlüpft (vgl. Bader 2016: 27). Von ähnlichen Vorwürfen ist auch Mulvey betroffen – Schultz erkennt zwar ihre Arbeit an, kritisiert aber dasselbe – die Simplifizierung der Frau* als Opfer und des Mannes* als Täter. Zudem wirft er den Gedanken ein, akademischer Feminismus habe ein Problem mit Männern (vgl. Schultz 1995: 370ff.).
Die sexpositive Feministin Betty Dodson meint hierzu:
„Young women today have lost interest in feminism because they believe it´s antisex and that all feminists are man haters. Let me tell you something, girlfriends. That´s exactly what the powers-that-be want us to think and do. Feminism has become a dirty word, and I want to save it, to revive it. I want feminism to signify a woman who knows what she wants in bed and gets it. Guys will be saying, `I´ve got to find me a feminist to fuck!´” (Dodson 2013: 30).
Dodson spricht sich für einen sex-positiven Feminismus aus. Sie ist der Meinung, dass die Tabuisierung von Pornographie dazu führt, dass Frauen* immer noch unsicher sind, ob sie überhaupt dazu befugt sind, Pornos zu konsumieren. Männer* hingegen sind in ihrem offenen Umgang mit Sexualität und Pornographie weniger als Frauen* von Stigmatisierung betroffen. Außerdem argumentiert sie, dass es unrealistisch sei, Pornographie zu verbannen, da es sich hierbei um eine Multibillionen-Industrie handle. Dodson zählt zu den Pionier*innen des sex-positiven Feminismus der 70er Jahre, nach jahrelangem Kampf für die selbstbestimmte weibliche Sexualität ist für sie eine Verbannung des Pornos mehr Rückschritt als Fortschritt (vgl. ebd.: 23ff.). Demnach fragt sich auch Schultz: „If we can´t represent a pleasurable and just heterosexuality, can we imagine it? And if we can´t imagine it, how can we live it?” (Schultz 1995: 370f.).
Mit anderen Worten: wenn sich Pornographie pauschal durch Sexismus und ungleiche Machtverhältnisse auszeichnet – kann gleichberechtigte Sexualität unter heterosexuellen Sexualpartner*innen überhaupt existieren? Oder unterliegt das Ausleben davon immer Machthierarchien? In weiterer Folge gilt es also zu fragen, gibt es so etwas wie feministische Pornographie überhaupt und wenn ja, wie zeichnet sich ebenjene aus?
Die Sozialwissenschaftlerin Constance Penley meint, bei der feministischen Pornographie handle es sich um ein Subgenre, das bestehende Stereotypen über Gender, race, Ethnizität, Sexualität und andere Identitätskategorien aufbrechen will. Feministische Pornographie definiert Lust, Macht und Schönheitsnormen neu und versucht, bestehende gesellschaftliche Machthierarchien zu dekonstruieren (vgl. Penley et al. 2013: 9f.). Des Weiteren meint Schulz, dass feministische Pornographie versuche, den sexuellen Akt in eine Geschichte zu verpacken: durch den zusammenhängenden Handlungsstrang wird in demder Zuseherin ein moralisches Bewusstsein ausgelöst, was dazu führe, dass die Darstellerinnen als Individuen betrachtet werden (vgl. Schultz 1995: 379). Frauen und Menschen jeglicher Genderzugehörigkeit soll das offene Ausleben ihrer Sexualität nicht verboten werden – im Gegenteil: feministische sex-positive Pornographie soll sie dazu ermutigen, zu ihren sexuellen Neigungen zu stehen (vgl. Penley et al. 2013: 14ff.). Für die Umsetzung brauche es Kriterien und Werte, nach denen Pornographie produziert werden sollte (vgl. Schultz 1005: 380). Durch die Anerkennung von Pornographie als eigenständiges Genre wie Western oder Melodram entstehen neue Bewertungskriterien, die Pornographie nicht pauschal als Genre abzulehnen versucht (vgl. Nazarova 2016: 52).
Aus diesen Überlegungen resultierend ist die PorYES-Strömung entstanden, die sich gegen die Mainstream-Pornographie und ihre Darstellung sexueller Lust richtet. Sie ist der Meinung, dass Mainstream-Pornographie den achtsamen Umgang mit dem eigenen und fremden Körper erschwert. PorYES steht für vielfältige Darstellungen in der Pornoindustrie. PorYES sieht „[s]exuelle Freiheit […] [als] Bestandteil allgemeiner Freiheitsbestrebungen“, Konsens als oberstes Kriterium und Sexualität als gesellschaftliches Konstrukt. Zudem erwähnt die Bewegung auf ihrer Homepage, dass sie sich nicht als Gegenposition zu Alice Schwarzers Kampagne PorNO sieht – der wesentliche Unterschied ist: PorYES lehnt Pornographie nicht ab, sondern versucht sie als Instrument zu nutzen, um sexuelle Freiheit zu ermöglichen. Um eine sexpositive Darstellung von Lust, die Repräsentation von Vielfalt, faire Produktionsbedingungen, Konsens und Safe Sex zu gewährleisten, wird zweimal jährlich der PorYES Award verliehen. Er ist eine Art des Gütesiegels, die vor allem Konsument*innen versichern soll, dass sie Pornos schauen, die den Kriterien feministischer Pornographie entsprechen.
Aber was zeichnet nun feministische Pornographie aus? Um mich dieser Frage zu nähern, habe ich mich an den Methoden der visuellen Anthropologie orientiert. Zu den verschiedenen Interessen der visuellen Anthropologie gehört das Anliegen zu verstehen, wie die Gesellschaft visuell beeinflusst wird. Es handelt sich hierbei um einen interdisziplinären Zugang, der Erkenntnisse und Methoden mehrerer Wissenschaften miteinander verbindet. Die visuelle Anthropologie sieht Wirklichkeit als etwas Subjektives, aufbauend auf unseren Erfahrungen und Einstellungen (vgl. Leimgruber et al. 2013: 243ff.).
Um die Methoden feministischer Pornographie zu verstehen, habe ich ein monatliches Abonnement auf einer Homepage, die feministische Pornographie anbietet, abgeschlossen und mir elf Tage lang täglich einen Porno angesehen. Hierbei habe ich mich auf die erwähnte Methode von den Kulturwissenschafter*innen Walter Leimgruber, Silke Andris und Christine Bischoff bezogen, in der man jegliche Gedanken zu dem visuellen Material notiert. In weiterer Folge stellt man Leitfragen und Kategorisierungen auf, was man als Codieren bezeichnet (vgl. ebd.: 249). Da ich mich nicht nur rein theoretisch meiner Arbeit nähern wollte, habe ich nach jedem Film Szenen und Ausschnitte, die für mich Lust repräsentieren, zeichnerisch skizziert. Hierbei ging es mir keineswegs darum, alles detailgetreu abzuzeichnen, sondern viel eher den Moment danach zu nutzen um, das Gesehene zu reflektieren. Hier interessierte ich mich dafür, wie Lust dargestellt wird und wie ich Lust wahrnehme. Für mich haben sich die Skizzen als eine gute Repräsentationsmethode erwiesen, da ich dadurch die Vielfältigkeit sexueller Lust visualisieren konnte und die Möglichkeit hatte, aufzuzeigen, wie Körper miteinander interagieren.
Begonnen habe ich mit einer grundsätzlichen Internetrecherche. Ich fand tatsächlich mehrere feministische Pornoseiten wie beispielsweise BrightDesire.com. BrightDesire wirbt auf ihrer Startseite für ihre ethischen Produktionen und die Wichtigkeit von Konsens. Der Fokus liegt hierbei auf Heterosex und sie setzen sich zum Ziel, Sexualität als etwas Positives zu sehen. Auf ihrer Webseite findet man eine Reihe von Awards. Etwas zögerlich, weil es für mich noch immer absurd klang, Geld für Pornographie auszugeben (obwohl ich mich so intensiv mit Pornographie auseinandergesetzt hatte), beschloss ich schließlich, ein Abonnement abzuschließen. Mein Vorhaben scheiterte schlicht und einfach daran, dass ich in keinem Besitz einer Kreditkarte bin. Zudem zeigt sich, dass alternative Pornographie schwerer zugänglich ist als Mainstream-Pornographie. Also klickte ich mich weiter durch diverse Pornoseiten bis ich auf Cheex.com stieß – ein deutsches Start-up, das darauf abzielt, Sexualität zu revolutionieren. Vor allem haben mich die Illustrationen angesprochen – die Webseite ist künstlerisch gestaltet und man hat auf den ersten Blick nicht das Gefühl, es handle sich hierbei um eine Pornoseite. Außerdem bietet Cheex ein großes Angebot: von Artikeln über Audiogeschichten, Tutorials und Workshops – alles ist dabei und es zeigt, dass das Ausleben von Sexualität vielfältig ist. Erst war ich etwas zögerlich und fragte mich, ob ich mich von den Illustrationen habe verleiten lassen. Während auf den amerikanischen Pornoseiten mehrere Awards aufgelistet sind, muss ich auf dieser etwas länger suchen. Ich stieß auf die Rubrik, die alle Schauspielerinnen und Mitwirkenden vorstellt. Von feministischer Aktivistin bis Langzeitpärchen – die Motivationen Pornos zu drehen sind unterschiedlich. Einige der Schauspielerinnen waren mir schon in meiner Recherche auf anderen (amerikanischen) Homepages untergekommen, da Cheex eine Kooperation mit dem mehrfach ausgezeichneten Label für queer Porn AORTA FILMS hat. Das beruhigte mich, ethisch korrekt gehandelt zu haben und ich begann meine Auseinandersetzung mit Pornographie.
Meine aufgestellten Kategorien, nach denen ich die einzelnen Videos analysiert habe, richten sich nach den für mich zentralen Kriterien von PorYES.
Erstes Kriterium: feministische Pornographie verzichtet auf herabwürdigende, verachtende Darstellungen. Das hängt eng mit dem zweiten Merkmal zusammen – Konsens steht an erster Stelle, die Grenzen der Akteur*innen darf in keiner Weise überschritten werden. Am vierten Tag sah ich mir einen Dreier an, eine Frau* und zwei Männer* – in der Mainstream-Pornographie wahrscheinlich der Inbegriff für frauenverachtende Darstellungen. Tatsächlich aber war es hier anders. Während des ganzen Filmes stand die Frau* im Mittelpunkt. Der eine leckte sie, der andere streichelte und küsste sie. Sie wurde gefragt, ob es ihr gefällt und es ihr gut geht. Nicht einmal hatte ich das Gefühl, nur weil die Männer in „Überzahl“ waren, dass ihre Bedürfnisse weniger wichtiger waren als jene der Männer* – eher im Gegenteil: das Video vermittelte mir, dass die Männer* die meiste Freude daran hatten, sie zu begehren.
Am siebten Tag sah ich mir einen queeren Porno über ein non-binäres Pärchen (von AORTA FILMS) namens Indigo (they/them) und Ze (ze/they/them) an. Ze trug einen Strap-On, sie hatten Sex, schlugen sich gegenseitig, lachten, als Indigo Ze währenddessen fragte: „Can I fuck you?“ – erst als Ze ja sagte, leckte Indigo Ze. Konsens äußert sich nicht nur, wenn man zu Beginn nachfragt. Vielmehr geht es um den Respekt füreinander. Durch Nachfragen wird ein besonderes Maß an Rücksicht vermittelt.
Ein weiteres Kennzeichen feministischer Pornographie ist der besondere Fokus auf Emotionen und Zuwendung, die sich durch Berührungen, Küssen und Augenkontakt zeigen. Zudem sind Liebesbekundungen wünschenswert. Jedes einzelne Video, das ich gesehen habe, zeigt ein hohes Maß an Berührungen und Streicheleinheiten – allein, zu zweit oder zu dritt, Küsse und Augenkontakt sind in allen Videos vorgekommen und haben auf mich einen Eindruck der Verbundenheit hinterlassen. Zudem endet (fast) jeder Porno, den ich in meine Analyse miteinbezogen habe, mit Kuscheln – für mich betont dieser Aspekt den gegenseitigen Respekt füreinander. Nähe wird nicht nur während des sexuellen Aktes ausgelebt, sondern eben auch danach.
Ein weiteres Merkmal ist der Einsatz der Kamera und das Spiel zwischen Licht und Schatten. Jeder Porno verwendete eine unterschiedliche Kameraführung. Ein Video beispielsweise zeigt einen Mann, der masturbiert. Zu Anfang wird er durch den Türspalt gefilmt, voyeuristische Aspekte kommen hier zum Vorschein. Man fühlt sich, als würde man ihn heimlich beobachten.
Ein weiteres Video mit dem Titel SEX ON THE TRAIN zeigt ein Pärchen, das in einem Zug heimlich einen Porno dreht. Interessant finde ich hierbei, dass sie sich abwechseln – einmal hält die Frau das Handy, dann wieder der Mann – jegliche Perspektiven werden miteinbezogen. Für mich stellt das eine Methode dar, den male gaze aufzubrechen.
Das Video ATARDEER erinnert eher an einen Kunstfilm, als einen Porno (wodurch sich zeigt, dass die Grenzen fließend sind), die Aufnahmen wechseln zwischen einzelnen Szenen und Nahaufnahmen zu Landschaftsaufnahmen. Der*die Zuseher*in bekommt den Eindruck, der sexuelle Akt erstrecke sich über den gesamten Tag – die Lichtverhältnisse verändern sich und es wird mit Licht und Schatten gespielt.
Ein Kennzeichen feministischer Pornographie ist die Vielfalt sexueller Praktiken, die Pornos aufzeigen sollten. Ein Porno namens FEET AND HARNESS zeigt die Frau in Lederoutfit, während sie ihn mit ihren Füßen befriedigt. Sextoys werden selbstverständlich von Männern*, Frauen* und non-Binären Personen verwendet und Zuneigung zeigt sich auf verschiedenen Ebenen, auch die Orte variieren.
Am zweiten Tag sah ich einen Porno namens MUSE, der sich in einem Aktzeichenkurs abspielte. Das Modell und eine Kursteilnehmerin begannen plötzlich sich zu küssen, auszuziehen und schließlich Sex zu haben, während die Kursteilnehmer*innen versuchten, Momente der Lust einzufangen.
Was mich auch zum nächsten Punkt bringt: feministische Pornographie macht es sich zur Aufgabe, Vielfältigkeit von Personen darzustellen. In MUSE wurde diese Unterschiedlichkeit besonders dargestellt – die eine Frau* kurvig und weiß, die andere schlank, schwarz und voller Tätowierungen. Der besondere Fokus liegt auf dem Zusammenspiel ihrer Körper, wie sie miteinander agieren und der Ästhetik, die dahinter liegt. Zudem wirkt man hierbei Fetischisierung entgegen. Während man auf Mainstreamportalen wie PornHub Kategorien wie SCHWARZE, RUSSISCH ODER GROSSE ÄRSCHE findet, heißen die Kategorien auf Cheex beispielsweise COUPLE, GLOSSY, QUEER oder GIRL ON GIRL.
Ein weiteres Beispiel für die Vielfältigkeit des Körpers ist der queere Porno INDEPENDENT. INDEPENDENT zeigt Shay (they/them) und Mahx (they/them) in der Küche, während sie Granatapfel essen und über “being fat“ reden, beide passen nicht ins Konzept eines normschönen Körpers und schon gar nicht ins binäre Geschlechtersystem. Der*die Betrachter*in sieht Cellulitis und Unreinheiten, nichts wird verfälscht. Für mich löste dieses Video (nicht nur wegen der Hintergrundmusik und der Lichtstimmung) wegen der realitätsgetreuen Darstellung andere Emotionen aus, als würde ich einen „normschönen“ Körper sehen. Es fühlte sich bestärkend an, reale Darstellungen von Körpern wahrzunehmen und ihre Schönheit darin zu erkennen.
Genauso vielfältig wie Sexualpraktiken, Körper und sexuelle Orientierungen ist Lust. Der Fokus liegt auf der weiblichen Lust und ihren Ausprägungen. Die eine squirtet drei Mal hintereinander, die andere kommt durch ihre Hand oder ein Sextoy und wieder eine andere durch reine Penetration. Es entsteht ein wertfreier Rahmen und es wird gezeigt, wie Frauen* ihre Sexualität selbst in die Hand nehmen. Der Mann* scheint glücklich zu sein, solange seine Sexualpartnerin zufrieden wirkt. Der Druck fällt, der Mann* müsse die Frau* nur durch seinen Penis zum Orgasmus bringen. Vor allem aber auch, weil Männer* nicht permanent mit Dauererrektion dargestellt werden. Penisse erschlaffen zwischendurch und rutschen raus, von keinem der Männer* wird erwartet, eine Dauerperformance hinzulegen. Zudem steht der (männliche) Orgasmus nicht im Fokus, es geht vielmehr um den Akt der Lust, wie er sich vollstreckt. Durch die Analyse der verschiedenen Videos wird eines ersichtlich: Pornographie kann stereotype Vorstellungen über Sexualität aufbrechen, solange sie auf Respekt und Konsens beruht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Feminismus viele Facetten hat und es innerhalb dessen verschiedene Strömungen gibt, wie sich in der Auseinandersetzung mit Pornographie zeigt. Die Vorstellung von Lust als etwas männlich konnotiertes wird aufgebrochen, indem Vielfalt gezeigt wird. Das zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen: Durch die Repräsentation diverser Körpertypen, Sexualpraktiken und Genderzugehörigkeiten wird verdeutlicht, dass Sexualität wesentlicher Bestandteil unseres Lebens ist und die Freude daran ein zentrales Grundbedürfnis ist. Ein weiterer wichtiger Punkt sind Emotionen. Durch Küsse, Zärtlichkeiten und Berührungen wird ein anderes Bild vermittelt als jenes, welches wir aus der Mainstream-Pornographie kennen. Die Bedeutung von zärtlichen Berührungen kommt auch in meinen Skizzen zum Vorschein, die ich in dem Text eingefügt habe. Lust zeigte sich für mich nie durch nur reine Penetration, vielmehr stand die Nähe und das Zeigen von Emotionen im Fokus.
Um Produzent*innen und Konsument*innen einen Rahmen zu geben, legt der PorYES Award Kriterien fest. Würde man Pornographie gänzlich verbieten, fehlen Bedingungen, die ethische, fair bezahlte und sichere Sexualität sichern sollten – denn wie sollte man eine Multibillionen-Industrie einfach ausschalten? Sinnvoll wäre, Pornographie zu enttabuisieren und zu revolutionieren. Kriterien, die für feministische Pornographie gelten, sollten grundsätzlich auch die Mainstream-Pornographie erreichen. Statistiken zeigen, dass Kinder und Jugendliche schon früh erste Erfahrungen mit Pornographie sammeln. Dadurch, dass Mainstream-Pornographie für jeden ohne Barrieren zugänglich ist und nicht geregelt ist, glauben Kinder und Jugendliche, das sei Sexualität: der Mann* penetriert, die Frau* ist passiv und erreicht durch reine Penetration einen Orgasmus. Die Enttäuschung aber kommt dann im „echten“ Leben, wenn junge Frauen* bemerken, dass das bei ihnen nicht so funktioniert wie es im Porno dargestellt wird – also muss wohl etwas mit ihnen falsch sein und nicht mit der einseitigen visuellen Repräsentation von Sexualität. Oder? Genau um solche Glaubenssätze zu beseitigen, braucht es einen sex-positiven Zugang zum eigenen Körper und seinen Bedürfnissen. Oder wie Betty Dodson es auf den Punkt bringt: “Sex-positive feminism is alive and well and we will change the world. It´s just going to take a bit longer than expected. Viva la Vulva!” (Dodson 2013: 30).
Dieses Essay entstand im Rahmen des Seminars „Visual Culture and Gender“ unter der Leitung von Işıl Karataş, M.A.
Literatur
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