Sitzgelegenheiten in Wien gestalten! Praxisperspektiven auf städtische Möblierung

Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Beitrag von Jasmin Kraus

Am 16.03.2023 fand im Rahmen eines Workshops des Netzwerks kulturwissenschaftliche Stadtforschung zu forschungsbezogenen Anwendungshorizonten eine Podiumsdiskussion statt. Das Institutskolloquium im Sommersemester 2023 läuft unter dem Thema „Kulturhauptstadt, Olympiade, Weltausstellung: Gesellschaftliche Transformation durch Großprojekte“.


Im Fokus des Kolloquiums stand der praxisbezogene Austausch auf städtische Möblierung und damit auch auf die Gestaltung und Gestaltbarkeit urbaner Infrastrukturen. Der Organisator Felix Gaillinger hatte Alina Strmljan (Wien Museum), Iklim Dogan (Künstlerin), Raphael Volkmer, David Grüner (Projekt „7000 Bänke“) und Hanna Schwarz (Initiative geht-doch.wien) als Gäste geladen, die spannende und interessante Einblicke in den Diskurs von Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum Wiens darlegten.


Alina Strmljan als Kuratorin des Wien Museums und die Künstlerin Iklim Dogan präsentierten als erste Vortragende die Startgalerie-Ausstellung1 „Nehmen Sie Platz!“, welche eine künstlerisch-kritische Position zum Thema Parkbank vermittelte. Die Ausstellung, welche bis zum 22. Oktober 2022 in der MUSA-Startgalerie zu besuchen war, thematisierte vorrangig den Diskurs rund um „Hostile Design“ – eine gestalterische Maßnahme, die unerwünschte Nutzungen, wie beispielsweise das Übernachten auf Parkbänken verhindert und damit eine Funktion sozialer Kontrolle ausübt.


Anknüpfend an die Thematik des „Hostile Designs“ gaben Raphael Volkmer und David Grüner, beide Social Designer, Einblicke zu dem Forschungs- und Methodenzugang ihres Studienprojektes „7000 Bänke“ (Jänner 2019) an der Universität für angewandte Kunst Wien aus dem Fachbereich „Social Design“. Der Titel „7000 Bänke“ steht dabei viel eher als Symbolik, denn im öffentlichen Raum Wiens befinden sich unzählige Bänke und die Zahl „7000“ sollte die großen Ambitionen des Projektes widerspiegeln. Auch das Objekt, die Bank selbst, steht als Symbol in diesem Titel, denn diese soll an den sozialen Aspekt der Begegnung erinnern.


Bei dem Feldzugang und sogenannten „bench talks“ – Interviews auf Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum – stellten die beiden Redner fest, dass es in den Straßen Wiens kaum bis keine Möglichkeiten gibt, um sich ohne Konsumzwang einmal hinzusetzen. Aus diesem Grund wurde das Ziel gesetzt, gemeinsam mit Initiativen, Vereinen, Gestalter*innen und allen Bürger*innen der Stadt Wien, die an einer positiven Veränderung des öffentlichen Raumes interessiert sind, eine Vielzahl von Bänken und Sitzgelegenheiten für den öffentlichen und halböffentlichen Raum (z.B. in Hinterhöfen oder vor Hauseingängen) zu schaffen. Im Zuge dessen entwickelten sie einen Workshop, um Bänke aus Rohstoffen zu bauen, welche im Kontext des „urban mining“ angeschafft wurden. Um so den städtischen Wertstoffkreislauf geschlossen zu halten. Nach Fertigstellung der Bänke bekamen diese eine Beschriftung und wurden an einem geeignet Ort platziert. Alle Bankarchitekt*innen erhielten im Anschluss ein „Bankzertifikat“ mit der Skizze und der Nummerierung der Bank. Wie sich vier Jahre später zeigt, stehen einige der „7000er“ Bänke noch immer an ihren Orten.

Anschließend an das „7000 Bänke“-Studierendenprojekt präsentierte Hanna Schwarz das ebenfalls im Jahr 2019 entwickelte Projekt #sesseltanz und die Petition für mehr konsumfreie Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum. Die Fußgängerinnenorganisation postulierte: „Wir brauchen Sitzgelegenheiten!!!“ Dabei formuliert die Initiative insbesondere ihren Fokus auf Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, ob alt oder jung, aber auch auf Alltagssituationen, zum Beispiel wenn in der Mittagspause bei Sonnenschein das Jausenbrot nicht im Stehen gegessen werden möchte. Genaue Zahlen zu Sitzmöglichkeiten ohne Konsumzwang in Wien gibt es laut Hanna Schwarz tatsächlich nicht. Deshalb ging das Projekt in die Praxis: so wurden bei einem Möbelhaus eine größere Anzahl an roten Klappsesseln erworben und in öffentlichen Räume positioniert, wo Sitzmöglichkeiten fehlten, vor allem an Verkehrsknotenpunkten. In Form einer teilnehmenden Beobachtung und Interviews auf den roten Klappsesseln war schnell klar: hier fehlt es an Sitzgelegenheiten und die Passant*innen waren glücklich über die einfachen Sesseln. Wie Hanna Schwarz berichtete, war der Zugang zu den Interviewpartner*innen nicht allzu schwer, da sich die Forschenden mit einem Klappsessel konsensual neben die Person gesetzt haben.

Beim #kommraus-Festival im Mai 2019 wurden die Forschungsergebnisse präsentiert und Patenschaften für die Klappsessel vergeben. Damit wurden die Sessel weitergegeben, um im öffentlichen Raum eine Sitzmöglichkeit nutzen zu können und ganz einfach mobil dabei zu haben.


Mit der Petition fordert die Initiative „geht-doch.wien“, dass auf den Straßen Wiens alle 300 Meter Sitzgelegenheiten existieren. Diese 300 Meter entsprechen einer zehnminütigen Gehdistanz einer mobilitätseingeschränkten Person. Die Petition erreichte den Gemeinderatsausschuss für Petitionen und BürgerInneninitiativen. Die Forderungen sollten umgesetzt werden, doch laut Hanna Schwarz ist bis heute nicht viel passiert.


Was sagt uns das? Nicht aufgeben! Weiterhin Initiativen und Projekte umsetzen um diesen Diskurs weiter zu öffnen, um „Hostile Design“ den Kampf anzusagen und Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum inklusiver zu gestalten. Sie sollen ein Sicherheitsgefühl vermitteln und marginalisierten Gruppen wie wohungs- oder obdachlosen Menschen einen Raum geben.


1 Wurde 2022 als Raum für Experimente innerhalb des Wien Museums, zur Bühne für junge Kurator*innen, die ihre Ideen in Zusammenarbeit mit lokaleln Künstler*innen realisieren.