Unterhaltskonflikte ethnografisch aufarbeiten.

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Bild von Theresa Benz
Beitrag von Birgit Palasser

Ein Bericht zur Monografie von Felix Gaillinger: Um den Unterhalt kämpfen! Junge Volljährige im Rechtsstreit gegen ihre Väter (2022)

Im Institutskolloquium im Wintersemester 2022/23 referierte Felix Gaillinger zu seiner Forschung über Unterhaltskonflikte. Birgit Palasser hat sich für den Blog näher mit seiner dazugehörigen Publikation auseinandergesetzt.

Unterhaltsstreitigkeiten – diese Erfahrungen sind für getrenntlebende Eltern keine seltenen. Immer wieder wird mir in meinem privaten Umfeld von solchen erzählt und meist sind es die Mütter, die darunter leiden und darum kämpfen.
Sobald das Kind jedoch 18 Jahre alt und somit volljährig ist, hat die Mutter keinen Handlungsspielraum mehr. Das Kind muss selbst den Unterhalt einfordern. Die Streitigkeiten beginnen von Neuem. Der Weg zu Gericht entwickelt sich oftmals zu einem Gewaltakt für die Betroffenen. So schreibt auch Felix Gaillinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien, in seiner 2022 erschienenen Monographie am Fallbeispiel einer jungen Volljährigen:

„Ihr Vater, zu dem Chiara eigentlich immer ein gutes Verhältnis hatte, wenn es nicht um Geld ging, ruft ihre Mutter an und verkündet, ab ihrer Volljährigkeit keinen Unterhalt mehr für Chiara zahlen zu wollen“ (Gaillinger 2021: 9).

Felix Gaillinger stellt mit seiner Forschungsarbeit Situationen dar, denen sich die jungen Betroffenen zu stellen haben und zeigt, wie sich diese auf ihren Alltag und ihre Handlungsstrategien auswirken. Sein Forschungsfeld befindet sich in der bayerischen Hauptstadt München.
Darauf aufbauend möchte ich in diesem Bericht im Zusammenhang mit Gewalt – dem übergeordneten Thema des Institutskolloquiums – auf drei Kernaussagen fokussieren:

Rationalität wird zu etwas Gewaltsamen.

Unterhalt – im Englischen als child support oder Upkeep bezeichnet – ist die finanzielle und materielle Leistung, jemanden über Wasser zu halten, die Existenzsicherung durch Dritte: eine rechtliche – und häufig auch moralisch zugeschriebene – Verpflichtung jener, die Kinder in die Welt setzen. Und immer wieder gibt es bei getrennten Eltern Verzögerungen und Streitigkeiten, weil Unterhaltspflichtige ihrer Verpflichtung nicht nachkommen. Bei Unterhaltsverweigerung zahlt zwar der deutsche Staat bis zum 18. Geburtstag einen Unterhaltsvorschuss, der aber in der Regel geringer ausfällt als jener Betrag, der eigentlich zustünde. Das Rationale – für das Aufkommen der Nachkommen zu sorgen – kann dann zu etwas Gewaltsamen führen, wenn das Einmischen von außen überhandnimmt. Wenn sorgsames Einweben von Emotionen verhindert wird, können Konflikte eskalieren.

Ein erster gewaltsamer Akt ist bereits der innere Konflikt der jungen Volljährigen. Drohungen wie ‚Wenn du nicht zahlst – geh ich zu Gericht‘ können ausgesprochen werden. Die Beziehung zum Unterhaltspflichtigen wird in Mitleidenschaft gezogen. Darüber hinaus bringt das Einschalten eines Amts möglicherweise Gewalt in die Eltern-Kind-Beziehungen. Im Sinne einer symbolischen Gewalt in der Aushandlung, die oftmals gewaltfreie Kommunikation verhindert.

Es beginnt mit der großen Herausforderung, dass die Kinder den bis dato oftmals guten Kontakt aufs Spiel setzen, denn plötzlich geht es darum, den Vater darauf hinzuweisen, dass er seinen Verpflichtungen nachkommen muss; diese Forderung buchstabierten zuvor in der Regel die Mütter.
Wenn erste Gespräche nicht hilfreich sind oder die entsprechende Gesprächsbasis nicht (mehr) vorhanden ist, kann der Weg zu Gericht folgen. Felix Gaillinger hat bei seiner Forschungsarbeit auch die Perspektiven des Stadtjugendamtes sowie des Jugendinformationszentrum München eingebunden. Diese beiden Institutionen unterstützen junge Menschen dabei, ihre Rechte einzufordern. Er stellt in seiner Arbeit Abläufe dar: Es beginnt damit, dass die jungen Volljährigen über ihre Situation aufgeklärt werden und erkennen, dass sie selbst aktiv werden müssen – es obliegt nicht mehr der Mutter, diese Schritte zu übernehmen. Einer dieser Schritte, nämlich die Aufforderung in schriftlicher Form, dass die Unterhaltspflichtigen ihre finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen müssen und eine Liste an Unterlagen vorzulegen haben, führt zu ersten Konflikten. Die Briefvorlagen sprechen Klartext, umschreiben nichts. Mitunter wird diese schriftliche Aufforderung von Unterhaltspflichtigen als ‚Kriegserklärung‘ gesehen – denn das Verweigern einer Pflicht wird öffentlich gemacht. Und auch ein verletztes, oftmals männliches Ego, lehnt die staatliche Übermacht als vermeintlich neutrale dritte Instanz ab. Dies hat immer wieder zur Folge, dass das manchmal freundschaftliche Verhältnis zum Kind beendet wird.
Und es führt dazu, dass rechtliche Regelungen einen in ihrer Aushandlung gewaltvollen Charakter erzeugen. Dies zeigt sich in der Art und Weise, wie Rechtsinstitutionen mit den Regelungen und ihren Implikationen umgehen. Nicht selten führt dies zur Eskalation.

Junge Volljährige müssen um Anerkennung im Rechtsstreit kämpfen.

Ist der Zahlungspflichtige nicht einsichtig, dass sein Kind finanzielle Unterstützung benötigt, da sich sein Kind noch in der Ausbildung (wie z.B. Schule oder Studium) befindet, haben die Betroffenen Möglichkeiten, sich beim Jugendamt oder anderen Informationszentren beraten zu lassen bzw. Anwält*innen zu konsultieren. Nicht in jedem Fall muss der Weg über das Gericht gehen. Das Kind muss nachweisen, dass es nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um den Lebensunterhalt selbständig finanzieren zu können. Und alle Unterhaltspflichtigen – auch die Mütter – müssen ihre gesamte finanzielle Situation offenlegen, damit die Höhe des Leistungsanspruches definiert werden kann.
Dieser Kampf um Anerkennung im Rechtsstreit der jungen Menschen ist erforderlich, um den eigenen prekären Lebensumständen zu entkommen.

Vom inneren Konflikt zu Konflikten in den Aushandlungen – Unterhaltskonflikte greifen auf mehreren Ebenen um sich. Ob gewaltvoll oder nicht zeigt sich im Umgang mit den vorgesehenen Prozessen durch die Beteiligten.

Literatur:

Gaillinger, Felix (2021): Um den Unterhalt kämpfen! Junge Volljährige im Rechtsstreit gegen ihre Väter. München: Utz Verlag.