Was ist (zu) Tun?

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Beitrag und Fotos von Melanie Haberl

Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie geraten Fragen nach der Verschränkung bzw. Auflösung von analogen und digitalen Sphären ins wissenschaftliche Blickfeld: Theoretische Strömungen wie die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), Science and Technology Studies (STS), new materialisms, Posthumanismus oder Postphänomenologie brachten in diesem Zusammenhang bereits in den letzten Jahrzehnten Anstöße in die Sozial- und Geisteswissenschaften. In Abkehr von der vorherrschenden subjektzentrierten Sicht artikulieren sich diese Denkschulen entlang von Begrifflichkeiten wie (Medien-)ökologien (Löffler 2019, 361) , Assemblagen

(Hahn 2017, 189-208) oder Gatherings (Ingold 2020, 17-35), mit dem Anspruch, Situationen möglichst ganzheitlich zu erfassen und die Beziehungen, Wechselwirkungen und das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten – seien es menschliche oder nicht-menschliche – zu beschreiben. Unter dem Postulat einer symmetrischen Anthropologie wird nicht nur die Dichotomie „Subjekt“-„Objekt“ aufgehoben; ebenso zerfallen auch Unterscheidungen wie „digital“ und „analog“, „materiell“ und „virtuell“ oder „real“ und „fiktional“.

Als Studierende der Europäischen Ethnologie sehen wir uns hier mit zweierlei konfrontiert: Zum einen eröffnet dieser theoretisch-epistemologische Aufbruch eine Pluralisierung an Forschungsmöglichkeiten, innerhalb derer es gerade ein Fach wie das unsere vermag, sich aufgrund seiner interdisziplinären, flexiblen und offenen Ausrichtung im methodischen Spektrum zu behaupten. Zum anderen jedoch stehen wir einer Vielzahl an offenen Fragen gegenüber – sei es rechtliche, forschungsethische, technologische – vor allem aber Fragen, was das konkrete empirische Vorgehen anbelangt. Wo setzen wir an, wenn Vorstellungen von Subjekt und Objekt als Orientierungspunkte obsolet werden? Was ist überhaupt (noch) ein Forschungsgegenstand; wie fassen und begegnen wir ihm, was ist methodisch nötig oder möglich, was ist sinnvoll und machbar, was nicht? Epistemologische Umwälzungen erfordern nicht nur die Entwicklung neuer Theorien und Terminologien, sondern ebenso die Herausbildung entsprechender Forschungsmethoden, welche in der empirischen Sozialforschung bislang nur sehr zögerlich erfolgt ist: Erfuhr das theoretisch-begriffliche Instrumentarium im letzten Jahrzehnt eine immer feinere Ausdifferenzierung, blieben die empirischen – auch die qualitativen – Methoden weitgehend unverändert oder wurden lediglich geringfügig um den Einsatz digitaler Verfahren zur Datenerhebung und
-auswertung ergänzt. Doch besteht die Aufgabe einer methodologischen Weiterentwicklung nicht bloß darin, Altes und Bewährtes auf die Gegenwart überzustülpen, sondern sich mit den aktuellen Gegebenheiten – ihren Möglichkeiten wie auch Beschränkungen – kritisch auseinanderzusetzen. So stehen wir nun vor der Frage: Was ist als empirische Kulturwissenschaft zu tun, und vor allem: wie?

Diesen, zugegeben sehr diffusen und anspruchsvollen, Herausforderungen versuchten wir uns im Zuge einer Lehrveranstaltung im Sommersemester 2021 anzunehmen: Unser Ziel war es, Forschungsmethoden zu diskutieren und weiterzuentwickeln und die gemachten Erfahrungen, eingebettet in aktuelle Diskurse, Theorien und Terminologien, zu evaluieren. Unter dem thematischen Ausgangspunkt des Mediengebrauchs, mit besonderem Fokus auf youtube-Tutorials, wurde das Seminar in vier theoretisch-methodische Schwerpunkte gegliedert: entlang ausgewählter Literatur diskutierten wir mögliche Herangehensweisen, welche wir dann an konkreten Situationen erprobten und unsere Erfahrungen mit diesem Vorgehen wiederum in der Gruppe reflektierten. Zur theoretischen Rahmung griffen wir auf praxeologische Ansätze zurück, welche sich unter den genannten epistemologischen Prämissen als vielversprechend für eine Analyse gegenwärtiger Alltage erweisen: Ausgehend vom konkreten Tun findet eine Annäherung an die in eine Situation involvierten Dinge, Räume und Körper statt. Dabei sind nach Stefan Hirschauer drei Aspekte relevant:

„Es gibt drei Ressourcen eines solchen kulturell kompetenten Verhaltens: den gekonnten Einsatz des sozialisierten Körpers, den geschickten Gebrauch von Dingen, und den korrekten Gebrauch von Zeichen. Und es gibt Praktiken, in denen das körperliche Agieren (etwa der Kampf), das Hantieren mit Dingen, oder das Kommunizieren (der Gebrauch von Zeichen) im Vordergrund stehen.“ (Hirschauer 2017, 92)

Wir analysierten also den Gebrauch von youtube-Tutorials mit Blick auf Körper, die etwas mit Dingen tun sowie auf Dinge, die etwas mit Körpern tun, und sich dabei in spezifisch verschränkten Raum-, Zeit- und Zeichensystemen befinden; wir untersuchen Prozesse des Lesens, Schreibens und Übersetzens, unterschiedliche Medien und Wissensformen, die (Re-)Kombination von Zeichen und deren semantische wie funktionale Offen- oder Geschlossenheit. Das methodische Spezifikum der Ethnographie erweist sich hierbei als ein besonders fruchtbarer Zugang: Über das beschreibende Verdichten von Situationen können Zusammenhänge behutsam skizziert werden und die Sensibilität gegenüber Selbstverständlichkeiten ermöglicht eine Annäherung an den sich meist routiniert vollziehenden alltäglichen Mediengebrauch.

Sarah Pink, die sich intensiv mit der Weiterentwicklung von ethnographischen Methoden befasst, regt dazu an, kreativ und spielerisch im „Trial-and-Error“-Verfahren zu forschen und über die Reflexion der eigenen wissenschaftlichen Praxis einen Beitrag zur Aktualisierung und Konturierung des kulturwissenschaftlichen Methodenkanons zu leisten. In ihren Arbeiten knüpft sie an Bereiche wie Kunst, Design und Technikforschung an, und ihre experimentellen Formate, wie etwa das re-enactment (Pink 2014, 146-154), dienten uns als Inspiration für unsere eigenen Konzeptionen: So entstanden unter anderem Ideen zur Datenerhebung via Drehbücher, spielerischer Interaktionen oder Videos. Dabei sahen wir uns im Laufe des Semesters mit Unvorhersehbarkeiten und Enttäuschungen ebenso konfrontiert wie mit Zufallsfunden oder überraschend ertragreichen Verfahren. Es bedarf allerdings nicht nur einer gestalterischen Freiheit, sondern ebenso einer vertraulichen Atmosphäre und eines kritischen, aber wertschätzenden Umgangs der Lehrperson und innerhalb der Seminargruppe, um sich offen und vorbehaltlos austauschen zu können.

Rückblickend erwies sich die Auseinandersetzung mit Methoden „in the making“ als eine wichtige Erfahrung, die nicht nur zum besseren Verständnis ethnographischer Verfahren verhilft, sondern überdies zur Entwicklung der eigenen Forscher:innenpersönlichkeit beiträgt und dazu ermutigt, eigenverantwortliche Entscheidungen im Forschungsprozess zu treffen. Nachfolgend greife ich zwei meiner im Zuge dieser Lehrveranstaltung durchgeführten Versuchsanordnung heraus und versuche sie im Hinblick auf ihre empirische Anwendbarkeit zu beschreiben.

Testlauf Medienranking (als Zugang zu sozialen Interaktionen im Mediengebrauch):

Vorannahmen und Begriffe: Der Gebrauch von Medien ist eingebettet in je spezifische Kontexte, die sich aus analogen wie digitalen, materiellen wie virtuellen Elementen zusammensetzen. Mit dem Begriff der Medienökologien fasst Petra Löffler technische Medien als „Umgebungen, die Wechselwirkungen zwischen heterogenen Aktanten hervorrufen“ (Löffler 2019, 361).  Im Sinne eines „Netzwerk[s] von Relationen“ (ebd. 359) lässt sich damit beschreiben, unter welchen „Umstände[n] [..] Praktiken wirksam werden“ (ebd.). Es stellen sich also Fragen nach den Bedingungen für Medienpraktiken, in welche Medien (Hard- und Software) ebenso eingebunden sind wie Körper, Zeichen und unterschiedliche Wissensbestände. Eine Zuspitzung auf die konkreten Handlungsmöglichkeiten, -beschränkungen und -aufforderungen innerhalb von Medienökologien nimmt Christoph Bareither mit dem Affordanzbegriff vor: „Grundsätzlich erlaubt das [Affordanz-]Konzept, die Relationen zwischen Menschen und ihren materiellen Umwelten einerseits sowie zwischen Menschen und digitalen Medien andererseits ethnographisch zu fokussieren. (Bareither 2020, 34)

Ablauf: Für die empirische Annäherung an Medienökologien versuchte ich anhand eines „Rankings“ Erklärungen für oder gegen den Gebrauch bestimmter Medien zu erheben – in Anspielung auf Praktiken des Auflistens und Bewertens in unseren Alltagen. Mir ging es dabei nicht primär um die Nennung von Programmen und Geräten, sondern ich erhoffte mir dadurch Hinweise auf die Beschaffenheit von medialen Umgebungen und den darin wirkenden Affordanzen. Mit dem Fokus auf soziale Interaktionen bat ich eine gute Freundin, ein Ranking zu erstellen, welche Messengerdienste und soziale Medien sie wie und wofür nutzt. Die Gestaltung der Liste ließ ich ihr dabei völlig offen. Wenige Tage später erhielt ich von ihr ein Word-Dokument, in dem sie ihre Auflistung in Form einer zweispaltigen Tabelle sortierte. Links führte sie Namen von Applikationen an und rechts jeweils abwägende Kommentare dazu, welche in unterschiedlicher Länge – sowohl ausformuliert als auch in Stichwörtern – gehalten waren. Die Reihung erfolgte nach Häufigkeit der Nutzung und Art der Kommunikation. So sei ein Messenger ihr „Standard-Messenger“, der andere wiederum „gut für große Dateien senden“. Weiters nannte sie in den Anmerkungen Stichpunkte wie „Zeitfresser“ und „Datenschutz“ und beschrieb soziale Medien, bei denen sie zwar angemeldet sei, „aber würde niemals etwas posten, weil das peinlich wäre“. In der gemeinsamen Durchsicht und Besprechung ihres Rankings wurde deutlich, welche Aufforderungen, Möglichkeiten und Beschränkungen meine Freundin – abhängig von ihren Präferenzen – bestimmten Medien zuschreibt: Etwa nahm für sie die Sichtbarkeit des „Onlinestatus“ einen speziellen Stellenwert in der sozialen Interaktion ein und diente ihr als Auswahlkriterium für Messengerdienste. So kommuniziere sie mit neuen Bekanntschaften grundsätzlich lieber über Messenger, bei denen nicht ersichtlich sei, ob sie selbst gerade online ist, da ihr dies ein Gefühl von Privatsphäre und Sicherheit vermittle. Auch erwähnte sie, dass sie meist über ihr Smartphone kommuniziere, es jedoch ein Portal gäbe, das „früher mal cool“ gewesen sei, sie „jetzt aber nur mehr für Gruppen und Veranstaltungen“ angemeldet wäre und die Anwendung lediglich „manchmal am Laptop“ öffne. Im Gespräch über das Ranking zeichnete sich eine enge Verknüpfung bestimmter medialer Praktiken wie „posten“ oder „online sein“ und emotionalen Zuschreibungen wie jene der „Coolness“ oder „Peinlichkeit“ ab.

Beurteilung: Die Methode des Rankings kann sich besonders zum Einstieg in das jeweilige Forschungsvorhaben als sehr aufschlussreich erweisen. Die Liste stellte sowohl für meine Forschungspartner:in als auch für mich als Forschende ein reflexives Instrument dar, um eine erste Übersicht über die jeweiligen Medienökologien und Affordanzen zu generieren: Welche Aspekte werden relevant gesetzt, welche Eigenschaften werden bestimmten Medien oder Situationen zugeschrieben, wie wird die persönliche Auswahl legitimiert, wo finden Anknüpfungen an übergeordnete Diskurse (Datenschutz, Sicherheit etc.) statt? Gerade in Kombination mit einem anschließenden Gespräch kann das Ranking ein hilfreiches Werkzeug sein, um den Forschungsfokus zu schärfen und das weitere empirische Vorgehen zu planen. Darüber hinaus war es für mich persönlich interessant, „blinde Flecken“ zu entdecken, die ich vorab in der Reflexion meiner Vorannahmen nicht berücksichtigt hatte.

Weiterentwicklung: Das Nachdenken, Reden und Schreiben über Praktiken gibt wertvolle Einblicke in unterschiedliche Aspekte des Mediengebrauchs. Allerdings beschränkt sich der Erkenntnisgewinn auf eine rein reflexive Ebene und erlaubt keine Rückschlüsse auf das konkrete Tun der Forschungspartner:in. Eine Möglichkeit wäre, die in der Liste genannten Messenger im Vollzug zu beobachten und sich die Medienpraktiken „live“ zeigen und erklären zu lassen. Zur ergänzenden Datenerhebung könnten Apps zum Tracking – etwa der Handynutzung – vorgeschlagen werden. Diese sind meist kostenlos, ohne zusätzlichen Zeitaufwand und liefern niederschwellig Informationen, die gemeinsam mit dem/der jeweiligen Forschungspartner:in interpretiert werden können. Ebenso könnte sich die Erstellung von Begriffsfeldern und die Definition und Abgrenzung von Synonymen als sinnvoll erweisen, um die im Ranking hervorgebrachten Semantiken weiter auszudifferenzieren.

Testlauf Fotogespräche (als Zugang zu Räumlichkeit und Zeitlichkeit des Mediengebrauchs):

Vorannahmen und Begriffe: Medienpraktiken können entlang unterschiedlicher Dimensionen – wie etwa synchron und diachron – unterteilt werden. Mit dem Domestizierungsansatz beschreibt Jutta Röser Prozesse der Aneignung und Ablegung von (Medien-)Routinen. Für sie spielt dabei das Zuhause als „Ort, an dem sich Mediatisierungsprozesse konkretisieren“ (Röser 2019, 15) eine zentrale Rolle: Hier wird die Nutzung unterschiedlicher Medien ausgehandelt, neue Geräte oder Technologien sickern in den Haushalt ein, werden parallel mit anderen Medien und Menschen gebraucht bzw. scheiden allmählich wieder aus dem Alltag aus. Empirisch können die Brüche, Übergänge und Kontinuitäten von Domestizierungsprozessen beispielsweise in Bezug auf Biographien untersucht werden. Methodisch bietet sich dafür die Arbeit mit lebensgeschichtlichen Erinnerungen und Erzählungen an: So fragte ich meine Großmutter, ob sie mit mir alte Familienfotos sichten und dabei das Augenmerk auf dort abgebildete Medien – in diesem Fall Geräte – legen wolle.

Ablauf: War ich mir zu Beginn meines Besuches nicht sicher, ob wir überhaupt passende Fotos finden würden, fanden sich bei der Durchsicht eines ungeordneten Albums jedoch schnell einige „Medienbilder“ aus den 1970er bis 1990er-Jahren: Unter anderem das Portrait einer Frau, die große Kopfhörer trägt, das Bild eines Senners vor einer Almhütte mit einem Radio auf dem Fensterbrett und ein Familienfoto mit Röhrenfernseher im Hintergrund. Dabei achtete ich besonders darauf: Wie sind die Geräte auf den Fotos positioniert und/oder inszeniert? Sind sie im Hintergrund erkennbar oder stehen sie im Zentrum des Fotos bzw. des abgebildeten Raumes? Welche Erinnerungen sind daran geknüpft, wie wird über die abgebildeten Medien gesprochen und welchen Stellenwert nehmen diese innerhalb der Erzählungen ein?

Wir kamen schließlich auf mehrere Fotografien zu sprechen, die in der Stube der Großeltern aufgenommen wurden, und auf denen ein kastenförmiges Ding an der Wand meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf die Frage, was denn das sei und ob sie mir etwas dazu erzählen möchte, meinte meine Großmutter, es handle sich dabei um einen Radioapparat, der jedoch irgendwann nicht mehr verwendet wurde und nur mehr auf dem Wandregal stehenblieb, weil er irgendwie da „hingehöre“. In Kombination mit weiteren Fotos der Stube und den Erzählungen meiner Großmutter wurde die funktionale Verschiebung des Radios vom Gebrauchsgegenstand zum schmückenden Beiwerk deutlich: Im Laufe der Jahre hat sich der dekorative Effekt durch eine auf dem Gerät angebrachte Decke, Blumenvasen und Bilderrahmen noch weiter verstärkt. Auf einer Aufnahme aus den 1990er-Jahren war schließlich ein neuer, schwarzer Radioapparat erkennbar. Da wir uns während unseres Gesprächs lediglich einen Raum weiter in der Küche aufhielten, konnten wir die Stube direkt begehen: Dabei zeigte sich, dass das Regal auch heute noch dasselbe ist, und anstelle eines Radios mittlerweile ein Wecker und eine Blumenvase aufgestellt worden sind. Es scheint, als hätte dieser Ort mit der Zeit an medialer Relevanz verloren, durch die nach wie vor bestehende Platzierung von Medien bleibt dem Regal jedoch – im Sinne einer Musealisierung – der Status als Medienort zugeschrieben. Durch die soziale Nähe zu meiner Forschungspartnerin wusste ich, dass der Platz auf dem „Diwan“ (Sitzgelegenheit direkt unter dem Regal), früher immer von ihrem Mann eingenommen wurde. Möglicherweise hat sich im Sinne des Domestizierungsansatzes seit seinem Tod – oder generell aufgrund der sich innerhalb der Familie verändernden sozialen Funktionen dieses Raumes – auch die Bedeutung dieses Regals geändert. Hier wäre es interessant zu erfahren, wann der Radioapparat weggekommen ist, und ob zwischenzeitlich noch ein weiterer Radio oder ein anderes technisches Gerät diesen Platz eingenommen hat. Dies könnte über weitere Gespräche, Fotos oder zusätzliche Quellen, wie etwa Rechnungsbelege oder Einträge in Haushaltsbüchern, rekonstruiert werden.

Abb. 1
Abb. 2

Abb. 1 und Abb. 2: Musealisierung im eigenen Haushalt. Der Radio (im linken Bildbereich) ging allmählich vom Gebrauchsgegenstand zur Deko über und wurde später von einem neuen Gerät abgelöst (Abb.2). Die Fotos erwiesen sich im Zuge des Testlaufs nicht nur als erzählgenerierender Input, sondern stellen selbst eine wertvolle Quelle zur Erforschung von Mediengebrauch dar.                                                             
Fotos: Haberl

Beurteilung: Im Methodentest erwiesen sich die Fotografien als eine überaus hilfreiche Annäherung an Domestizierungsprozesse. Meine Forschungspartnerin stellte in ihren Erzählungen die für sie relevanten Dinge, Räume und Menschen vor und zog über Erinnerungen aus unterschiedlichen Zeiträumen einen diachronen Vergleich. Was ich im Vorhinein nicht bedacht hatte, war der Quellenwert der Fotos selbst: Im Sinne eines stummen Zeugen dokumentieren sie (Medien-)arrangements und eignen sich – gerade, wenn mehrere Bilder aus demselben Raum oder derselben sozialen Situation vorhanden sind – als Indikator für Veränderungen von Medienökologien.

Weiterentwicklung: Meine Vorgehensweise war etwas ungeschickt, da sich meine Großmutter mit meinem recht kurzfristig kommunizierten Anliegen etwas überfordert und überrumpelt fühlte. Auch erwies sich das gemeinsame Durchblättern in der praktischen Anwendung als schwierig, da die Fülle an Fotos sehr viele unterschiedliche Erinnerungen hervorgerufen hat: Die Erzählungen meiner Gesprächspartnerin schweiften ständig ab auf die abgebildeten Personen, Orte oder Gegenstände, und ich hatte immer wieder Mühe, den Fokus zurück auf das eigentliche Thema zu lenken. Daher würde ich die Bilder nicht mehr erst während des Gesprächs sichten, sondern die Person vorher bitten, dem jeweiligen Schwerpunkt entsprechend ein oder mehrere Fotos auszusuchen, die dann gemeinsam besprochen werden. Der ungefähre Ablauf sollte bereits im Vorhinein festgelegt und kommuniziert werden, ebenso sollte – auch wenn wie in meinem Fall eine vertraute Person befragt wird – das wissenschaftliche Setting klar definiert sein. Im Falle eines/einer weniger vertrauten Gesprächspartner:in sollte vorab ein persönliches Kennenlernen erfolgen, um das nötige Vertrauensverhältnis für die Forschung in derart intimen und persönlichen Bereichen sicherzustellen. Es empfiehlt sich, das Treffen am Aufnahmeort der Fotos zu vereinbaren, um die abgebildeten Räume oder Dinge direkt ansehen und wenn möglich gemeinsam mit der Person fotografieren zu können, was ich leider bei meinem Besuch verabsäumt habe. Dabei würde ich auch auf den Aufnahmewinkel im Raum achten – welche Bereiche sind in dieser Perspektive nicht auf dem Foto, welche Gegenstände wurden weggestellt oder bewusst in Szene gerückt? Um die sozialen Dimensionen von Domestizierungsprozessen und Medienökologien zu beleuchten, wäre es sinnvoll, weitere Familienmitglieder oder Mitbewohner:innen hinzuzuziehen und das Gespräch im Gruppensetting durchzuführen; idealerweise mit Stiften und Papier in der Tasche für sich spontan ergebende Mappingverfahren, um etwa die Positionierung von Medien im Raum oder soziale Ordnungen (Sitzplätze, Bewegungen) zu visualisieren.

Die Autorin studiert im Master Europäische Ethnologie an der Uni Wien. 

Dieser Text entstand im Rahmen des Seminars „Abgeschaut. Zum Gebrauch von Tutorials“ unter der Leitung von Dr. Klara Löffler. Weitere studentische Beiträge aus Lehrveranstaltungen sind hier zu finden.

Zum thematischen Rahmen, in dem dieser Text steht, geht’s hier.

Literatur:

Bareither, Christoph: Affordanz. In: Heimerdinger, Timo/Tauschek, Markus (Hg.): Kulturtheoretisch argumentieren. Münster 2020, 32-55.

Hahn, Hans Peter: Fragwürdige Episteme der Materialität. Warum Theorien materieller Kultur die Komplexität der Dingwelt unterschätzen. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 120 (2017), H. 3+4, 189-208.

Hirschauer, Stefan: Praxis und Praktiken. In: Gugutzer, Robert/Klein, Gabriele/Meuser, Michael (Hg.): Handbuch Körpersoziologie. Band 1, Grundbegriffe und theoretische Perspektiven. Wiesbaden 2017, 91-96.

Ingold, Tim: In the gathering shadows of material things. In: Schorch, Philipp/Saxer, Martin/Elders, Marlen (Hg.): Exploring Materiality and Connectivity in Anthropology and Beyond. London 2020, 17-35.

Löffler, Petra: Ökologien medialer Praktiken. In: Gießmann, Sebastian/Röhl, Tobias/Trischler, Ronja (Hg.): Materialität der Kooperation. Medien der Kooperation – Media of Cooperation. Wiesbaden 2019, 359-383.

Pink, Sarah/Leder Mackley, Kerstin:  Re-enactment methodologies for everyday life research: art therapy insights for video ethnography. In: Visual Studies, 2014, Vol. 29, No. 2, 146–154.

Röser, Jutta et al. (Hg.): Das mediatisierte Zuhause im Wandel. Eine qualitative Panelstudie zur Verhäuslichung des Internets. Wiesbaden 2019.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1, Seite 7, Musealisierung im eigenen Haushalt. Foto: Haberl

Abb. 2, Seite 7, Musealisierung im eigenen Haushalt. Foto: Haberl

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