Melanie Haberl: Über (Un-)Sinn, Magie und paradoxe Ontologien im virtuellen Raum

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Foto von Melanie Haberl

Interview mit Melanie Haberl über ihre Masterarbeit „Mit Vergnügen: Das ‚gute‘ Gespräch als Spiel. Unterhaltung durch und mit Chatbots.“

Worum geht’s in deiner MA-Arbeit? Wie bist du darauf gekommen?

In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit dem Mensch-Technologie-Verhältnis am Beispiel eines Chatbots, der im Rahmen eines Kunstprojekts programmiert worden ist. Empirische Basis meiner Arbeit sind 138 anonym aufgezeichnete Dialoge mit Bot Knigge, die zwischen Februar 2022 und Juni 2022 auf der Webseite www.knigge.chat entstanden sind.

Darauf gekommen bin ich nach einer ersten Durchsicht der Chatprotokolle, zu denen ich durch meine Mitarbeit in diesem Projekt Zugang hatte. Ich war erstaunt, amüsiert und auch irritiert von dem Verlauf der Gespräche: Immer wieder kam es in den Chats zwischen User:in und Knigge zu absurden, bizarren und seltsamen Szenen; zu Momenten des Aus- und Abbrechens, dem (sich) Spielen mit dem Bot und Versuchen, ihn auszutricksen – zu Stimmungen, die sich aufbauen und wieder kippen, zu Provokationen und Gemeinheiten; dem Wechsel aus Spaß und Ernst.

Jeder dieser Chats war für mich auf seine eigene Art und Weise unterhaltsam. An diesem „(sich) Unterhalten“ – in seinen drei Bedeutungen des „Vergnügens“, der „Konversation“ und der „Instandhaltung“ – bin ich schließlich hängengeblieben und habe ausgehend von der Frage: „Wie unterhalten sich Menschen mit Chatbot Knigge?“ die Begegnungen zwischen User:innen und Bot analysiert.

Den Begriff der „Unterhaltung“ verstehe ich dabei als Erfahrungs- und Handlungsmodus, der die Interaktionssituation konstituiert und strukturiert: Beim „sich Unterhalten“ mit dem Chatbot stellt dieser ein Subjekt, eine:n Dialogpartner:in dar, zugleich ist er aber auch das Objekt der Unterhaltung – das Unterhaltsame, das die User:innen in der Unterhaltung „hält“.

Neben den Chatprotokollen umfasst mein empirisches Material auch teilnehmende Beobachtungen dreier Workshops, in denen Interessierte mit Knigge gechattet und sich anschließend über ihre Erfahrungen ausgetauscht haben. Theoretisch gerahmt habe ich die Mensch-Bot-Unterhaltungen als „hybride Figurationen“; die Auswertung und Interpretation habe ich angelehnt an die qualitative Gesprächsanalyse nach Deppermann und dem Verfahren „narrative and technology ethics“ nach Reijers und Coeckelbergh durchgeführt.

Was war eine überraschende Erkenntnis? Was hast du dabei gelernt?

Die für mich wichtigste Erkenntnis war, dass ein auf den ersten Blick erscheinender „Blödsinn“ kein Unsinn ist, sondern ein Modus der Weltaneignung, in dem sich zentrale Aushandlungs- und Lernprozesse vollziehen: Beim Ausprobieren des Chatbots findet ein Abgleich von Erwartungen und Erfahrungen statt – die User:innen erlangen dabei ein Kennen und Können, das wiederum in den weiteren Gesprächsverlauf einfließt.

So wurden die Spiele mit dem Bot immer ausgefeilter, je länger die User:innen mit ihm chatteten, und in den Protokollen begegneten mir Szenen wie etwa ein dialogisch erstelltes Kochrezept, Streitgespräche über angemessene Höflichkeitsformen, humorvolle Abhandlungen über Langeweile oder Fragen nach der Rolle von Missverständnissen im Kommunizieren. Auch wurden Überlegungen zur Beschaffenheit des technologischen Gegenübers angestellt, in denen User:innen mit dem Konzept der „Persönlichkeit“ sowie der Fähigkeit, Emotionen zu empfinden und Erfahrungen zu machen, eine ontologische Differenz zwischen sich und Knigge markierten. Ebenso wurde dem Gedächtnis ein besonderer Stellenwert beigemessen und die doppelte Tragik von Bots thematisiert, die weder vergessen noch sich erinnern können.

Neben einer lustig-leichten Dimension weisen die Knigge-Chats aber auch eine ernste und normative Ebene auf, die gerade in holprigen Stellen, Korrekturen und Abbrüchen sichtbar wird. In einigen Gesprächen wurde deutlich, wie wirksam Normen der Chatkonversation – auch im Austausch mit einem nichtmenschlichen Gegenüber – sind: Etwa waren mehrere User:innen beim Ausstieg aus dem Chat sehr bedacht darauf, dass der Bot sich „richtig“ verabschiedet. Dabei haben sie sich sehr bemüht, eine entsprechende Abschiedsfloskel bei Knigge auszulösen, und reagierten mit Verärgerung und Frustration, wenn es dem Bot nicht gelang, das Gespräch „ordnungsgemäß“ zu beenden.

Interessant fand ich auch die starke Präsenz von Diskursen über „unheimliche“ Technologie: In den Workshops wurde immer wieder an diesen Topos angeknüpft und über ähnliche Eindrücke – etwa dem „Mithören“ von Software im Alltag – berichtet. Auch in den Chats wurde Knigge gegenüber Misstrauen geäußert und über das Zustandekommen seiner Nachrichten gemutmaßt, z.B. über Spekulationen, inwieweit der Bot über ein eigenes Bewusstsein und einen freien Willen verfügt oder über die Formulierung dystopischer Szenarien einer „Maschinenherrschaft“. Fündig geworden bin ich dann bei Hermann Bausinger: Bereits in den 1960er-Jahren hat er auf das funktionale Naheverhältnis von Magie und Technologie hingewiesen – beides diene als narrative Ordnungsstrategie zur Erklärung der Welt. Bei „über- natürlichen“ Phänomenen kommt es immer wieder zu einer erzählerischen Vermischung von Zauberei und Technik, wie aktuell auch der Medienwissenschaftler Simone Natale argumentiert.

Was machst du jetzt? Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Derzeit wirke ich im Projekt „5 nach 12“ mit, das im Zuge von „Kunst im öffentlichen Raum Tirol 2023“ umgesetzt wird. Hierbei möchten wir in Form von künstlerischen Interventionen eine Auseinandersetzung mit unserer Zeitkultur schaffen. Ich schätze die Arbeit mit Projektleiter Richard Schwarz – ebenfalls Europäischer Ethnologe – sehr, da die Methoden unseres Faches nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Kunst- und Kulturbereich eine ganz eigene und sehr bereichernde Herangehensweise ermöglichen. Mit Oktober 2023 beginne ich als Doktorandin im FWF- Projekt „Emotionen im politischen Journalismus“ am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und bin schon sehr gespannt auf meine neue Aufgabe; nicht zuletzt auch, weil ich vor meinem Studium selbst einige Jahre lang als Journalistin tätig war. Ebenso freut es mich, mit einem Lehrauftrag für das PS „Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben“ im Wintersemester 2023/24 weiterhin mit der EE verbunden zu bleiben. Hier kann ich auch meine Begeisterung für den Themenbereich „Technologie/Medien/Künstliche Intelligenz“ einbringen, indem ich in meiner Lehre einen besonderen Fokus auf den verantwortungsbewussten Umgang mit KI- Tools im wissenschaftlichen Arbeiten legen werde.