Teil 2: Influenza 1918 – Parallelen und Unterschiede zur Corona-Pandemie

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Bildnachweis: Neue Freie Presse, 18. Oktober 1918, S. 9. ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Von Caroline Eiber, Isa Knilli, Eduard Rakaseder. Betreut von Dr. Rolf Bauer.

Wirtschaft

Das Auftreten der Influenza 1918 hatte wesentlichen Einfluss auf die allgemeine Wirtschaftslage. Durch die verhängten Maßnahmen und dem Ausfall von Arbeitskräften war das wirtschaftliche Geschehen stark eingeschränkt. So berichtete beispielsweise aus Prag die Neue Freie Presse Mitte Oktober 1918 über die Knappheit von Arbeitskräften:

Bei den Angestellten der Prager Post- und Telegraphenämter tritt hier die Grippe in erschreckender Weise auf. Vom Personal der Prager Telephonzentrale ist ein Großteil erkrankt, so daß zwei Drittel der Beamten und Beamtinnen außer Dienst stehen.[1]

Auch aus heutiger Sicht können viele Parallelen, aber auch Unterschiede in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie aufgezeigt werden.

Ein wichtiger Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist der Erste Weltkrieg als einflussreicher Faktor in der Betrachtung wirtschaftlicher Auswirkungen. Eine Trennung der Ursache für die wirtschaftlichen Folgen der Influenza 1918 und dem Ersten Weltkrieg ist daher kaum möglich. Zusätzlich stellt sich die Erarbeitung der ökonomischen Folgen als umständlich und kompliziert dar. Dies ist auf eine ungenaue Aufzeichnung und Dokumentation zurückzuführen. Die nachfolgenden Ergebnisse basieren auf der Evaluierung zeitgenössischer Zeitungsartikel und Sekundärliteratur.

Allgemein betrachtet lässt sich feststellen, dass die Maßnahmen der Influenza bzw. Corona-Pandemie die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Akteure stark traf. Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas A. Garrett nimmt in seiner Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Folgen der Influenza 1918 Bezug auf zeitgenössische Zeitungsartikel, welche über das wirtschaftliche Geschehen einzelner Betriebe berichteten. Er stellt fest, dass ein Großteil der Unternehmen schwere finanzielle Einbußen erfuhren “Little Rock businesses are losing $10,000 a day on average ($133,500 in 2006 dollars).”[2], während vereinzelt andere  Betriebe sogar wirtschaftlichen Erfolg verzeichneten “The only business in Little Rock in which there has been an increase in activity is the drug store.”[3]

Die ökonomisch negativen Auswirkungen der Pandemie 1918 waren auf mehrere Faktoren zurückzuführen, von denen besonders zwei hervorzuheben sind. Einerseits fielen krankheitsbedingt viele Arbeitskräfte aus, die den Betrieb nahe zum Erliegen brachten “Out of a total of about 400 men used in the transportation department of the Memphis Street Railway, 124 men were incapacitated yesterday. This curtailed service.”[4], andererseits waren manche Wirtschaftssektoren, vor allem der Kunst- und Kulturbereich, aufgrund der Maßnahmen dazu verpflichtet ihren Betrieb einzustellen. In einem Beitrag aus der Zeitung Neues Wiener Journal aus dem Jahr 1918 heißt es:

Da eine Abnahme der Grippeepidemie bisher nicht konstatiert werden konnte, hat die Statthalterei auf Grund eines Antrages des Landessanitätsrates vorläufig die weitere Aufrechterhaltung des Verbotes der Abhaltung von Theatervorstellungen, ,Singspielhallen und sonstigen Produktionen, Kinematographenvorstellungen, Konzerten, Vorträgen, ferner des Betriebes von Tanz- und Theaterschulen beschlossen […][5].

Die heutige Corona-Situation zeigt derart gleiche Auswirkungen auf die Wirtschaft, wobei ersterer Faktor verhältnismäßig klein ausfällt. Weniger ein Mangel an Arbeitskräften, sondern die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung sind wesentliche Ursache für den wirtschaftlichen Verlust. Ähnlich zu beobachten ist ein starkes Eingreifen in den Kultursektor, der aus heutiger Sicht sehr betroffen von den gesetzten Handlungen ist.

Nicht nur die Unternehmen, auch die einzelnen Haushalte waren stark von der Influenza Pandemie betroffen. Der norwegische Wirtschaftswissenschaftler Svenn-Erik Mamelund stellt hierbei einen Zusammenhang zwischen der finanziellen Lage der Haushalte und der Mortalitätsrate fest. Haushalte, die über ein geringes Einkommen verfügten, so Mamelund, waren von der Influenza 1918 stärker betroffen. Mamelund schreibt dazu:

[…] the mortality of those living in apartments with four to six rooms were on average 50 per cent lower than those residing in oneroom apartments (significant). […] The analysis also showed that when individual social class and household-level wealth is accounted for, simply living in a ‘‘poverty area’’ has a significant effect in explaining the variance in Spanish influenza mortality. Those living in one of the most impoverished parishes in the city, GrønlandWexels, had 49 per cent higher mortality than those residing in the Norwegian capital’s most privileged parish of Frogner.[6]

Wir können sehen, dass die Wohnsituation, also im übertragenen Sinne die wirtschaftliche Lage der Haushalte, wesentlichen Einfluss auf das Leben der Menschen im Umgang mit der Pandemie hatte.

Auch aus heutiger Sicht können derartige Parallelen gezogen werden. Ein aktueller Artikel der New York Times widmet sich derselben Frage wie eingangs Wirtschaftswissenschaftler Mamelund und stellt fest, dass Menschen mit niedrigem Einkommen wesentlich stärker von der Corona-Pandemie betroffen sind als Personengruppen mit besserem Verdienst. Das liegt daran, dass im Allgemeinen Menschen mit niedrigem Einkommen schlechteren Zugang zum Gesundheitswesen haben.[7] Aber auch die Wohnsituation, genauso 1918, spielt eine wichtige Rolle. In New York konnte anhand der Auswertung des finanziellen Haushalts festgestellt werden, dass Nachbarschaften mit einem Einkommen unter dem Mittelwert bedeutend härter von der Pandemie betroffen waren.

The increases in flu-related emergency room visits varied widely by neighborhood, with many of the surges occurring among residents of neighborhoods where the typical household income is less than the city median of about $60,000, the data shows. In Corona, Queens, for example, the median household income is about $48,000, according to the U.S. Census Bureau. That neighborhood is near the Elmhurst Hospital Center, which Mayor Bill de Blasio has cited as the hardest-hit hospital in the city. Doctors in the overwhelmed emergency room there have described the conditions as „apocalyptic.“[8]

Als Grund für die hohe Ansteckung in Stadtvierteln mit niedrigem Einkommen wird die Familiengröße in Relation zur Wohnungsgröße gesehen. Die Epidemiologin Dr. Jessica Justman sagt hierzu “the numbers were most likely because many immigrants and low-income residents live with large families in small apartments and cannot isolate at home.”[9]

Hamstern

Diese massiven wirtschaftlichen Folgen spürten wie bereits erwähnt nicht nur Betriebe, sondern auch Einzelpersonen, denn der Erste Weltkrieg und die Influenza 1918 sorgten für Lebensmittelknappheit. Waren wurden immer weniger und teurer, wodurch die Grundversorgung der Menschen nicht mehr sichergestellt werden konnte. Verstärkt wurde die Situation durch die schlechte Wetterlage, wodurch die Arbeit am Feld erschwert und der Ertrag geringer wurde.[10] Jedenfalls schwächte die Mangelernährung die Gesellschaft, wodurch diese wiederum anfälliger wurde für Krankheiten. Die Regierung bemühte sich dieser Lebensmittelknappheit mit Verordnungen entgegen zu wirken, was jedoch nur bedingt gelang, da verteilte Lebensmittelkarten oft nur teilweise oder gar nicht eingelöst werden konnten. Diese Not trieb die Menschen dazu, hamstern zu gehen. Mit dem Begriff hamstern war damals die Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel auf behördlich verbotenem Wege gemeint.[11]

In den Selbstzeugnissen, die in der Dokumentation Lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen archiviert wurden, wird von diesen sogenannten Hamsterfahrten immer wieder erzählt. Da eine allgemeine Not an Lebensmitteln herrschte, versuchten die Menschen durch Tauschgeschäfte mit Bauern einige Lebensmittel zu erwerben. Richard Seeger, der im 1.Weltkrieg seinen Militärdienst leistete und später Jus studierte, beschreibt folgendes:

Hamstern hieß damals nicht mit dem Auto fahren, sondern mit leerem Magen zu Fuß stundenlang über Land gehen oder mit dem Rad fahren, von einem Bauern zum anderen um ein Ei oder ein Kilo Mehl oder einen Laib Brot oder ein viertel Kilo Butter zu betteln, wobei nebst Bezahlung in von Tag zu Tag wertloser werdendem Papiergeld auch noch Geschenke zu erbringen waren.[12]

Diese Bettelfahrten waren beschwerlich, dauerten stundenlang und waren nicht zuletzt von der Angst geprägt, von der Polizei (Volkswehr) aufgehalten zu werden und so die Beute wieder abgeben zu müssen. Außerdem ging hamstern auch mit einer gewissen Demütigung, als Bettler*in zu gelten einher, wie Paul Schinnerer beschreibt. Er selbst war mit knapp 50 Jahren Soldat im 1.Weltkrieg und dokumentierte dabei viel in seinen Tagebüchern.[13]

Diese Hamsterfahrten sind eine wenig schöne Episode in meinem Leben. Wenn ich auch im Allgemeinen mit den Bauern keine schlechten Erfahrungen gemacht habe, so ist es doch für einen Mann mit meiner Lebensstellung und meines Alters kein Vergnügen, beständig als Bittsteller zu kommen, wenn ich auch die Sachen mit Waren gut bezahlt, vielleicht sogar überbezahlt habe.[14]

Auch Albert Lang erzählt von ähnlichen Erfahrungen. Da er selbst untauglich war, arbeitete er während des 1.Weltkrieges als Chauffeur in einem Wiener Industriebetrieb.

Wenn es nicht unbedingt sein muss, dann fahre ich nicht mehr hamstern, denn abgesehen von den Strapazen und den wertvollen Sachen, welche man den habgierigen Leuten für das bisschen Essen hingeben muss, auch noch diese Behandlung wie ein Bettler hinnehmen zu müssen, das ist mir zu viel.[15]

Im Zuge von COVID 19 ist der Begriff des Hamsterns wieder aufgetaucht, jedoch in einem völlig anderen Verständnis. Im Vergleich zu heute war es während der Influenza 1918 nicht möglich, sich einen Vorrat anzulegen, sondern das Hamstern diente allein dazu, den täglichen Verbrauch möglichst gut abzusichern.[16] Im heutigen Verständnis des Begriffs “hamstern” geht es nicht darum, Lebensmittel für das tägliche überleben zu bekommen. Vielmehr ist es aufgrund der erhöhten Nachfrage zu kurzzeitigen Lieferengpässen gekommen, wodurch manche Produkte in Massen gekauft wurden, aus Angst, dass diese nicht mehr verfügbar sein würden. Die Lebensmittelkonzerne versicherten jedoch, dass genügend Produkte da seien und in Kürze nachgeliefert werden. Dementsprechend gab es keinen Mangel an Produkten.

Auffällig hierbei ist, dass die gehamsterten Produkte regional unterschiedlich waren. Waren es in Österreich vor allem Klopapier und Nudeln, stiegen andernorts die Verkaufszahlen anderer Produkte. In den USA verzeichneten beispielsweise Waffengeschäfte vervierfachte Umsätze im Vergleich zum Vorjahr.

Das soeben beschriebene Verständnis des Begriffes “Hamstern” ist mit einer Bevölkerungsgruppe während der Influenza 1918 womöglich doch zu vergleichen. So erwähnt Ernst Langthaler in seinem Beitrag im Radiosender Ö1[17] das Hamstern der adeligen und großbürgerlichen Oberschichten. Diese hamsterten, um ihren standesgemäßen Lebensstil zu bewahren. Diese Form des Hamsterns, die nicht das Auftreiben von Lebensmitteln auf Grund von Hunger oder Unterernährung ist, ähnelt sich vielmehr dem Hamstern, wie wir es kennengelernt haben.


[1] Vgl. Neue Freie Presse, 13.10.1918. S.10.

[2] Thomas A. Garrett: Economic Effects of the 1918 Influenza Pandemic. Implications for a Modern-day Pandemic. Federal Reserve Bank of St. Louis 2007, S. 19.

[3] Garrett: S. 19.

[4] Garrett: S. 19.

[5] Neues Wiener Journal, 26.10.1918. S. 4.

[6] Mamelund, 2006.

[7] Vgl. https://www.nytimes.com/2020/03/15/world/europe/coronavirus-inequality.html [07.07.2020]

[8] https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/01/nyregion/nyc-coronavirus-cases-map.html?action=click&module=Top%20Stories&pgtype=Homepage [07.07.2020]

[9] https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/01/nyregion/nyc-coronavirus-cases-map.html?action=click&module=Top%20Stories&pgtype=Homepage [07.07.2020]

[10] Vgl. Der Tiroler, 03. November 1918, S. 6.

[11] Vgl. Salzburger Chronik für Stadt und Land, 13.06.1918. S. 3.

[12] Vgl. Eigner, Peter / Müller, Günter (Hrsg.): Hungern – Hamstern – Heimkehren. Erinnerungen an die Jahre 1918 – 1921. Köln / Weimar / Wien 2017. S. 178.

[13] Vgl. Eigner / Müller, Hungern – Hamstern – Heimkehren, S. 86.

[14] Eigner / Müller, Hungern – Hamstern – Heimkehren, S. 87.

[15] Eigner / Müller, Hungern – Hamstern – Heimkehren, S.137.

[16] Vgl. Eigner / Müller, Hungern – Hamstern – Heimkehren, S. 203.

[17] Ernst Langthaler: Hamstern, auf Ö1: Betrifft: Geschichte (16.06.2020)

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